Leben

Der bewegte Mann

Wer bist Du? Hat ein Mensch nicht allen Grund,  sich diese Frage zu stellen? Vor allem, wenn er 50 wird? Wenn er noch dazu der größte Entertainer ist, den Deutschland wohl hat – und noch dazu ständig in andere Rollen schlüpft? Hape Kerkeling war seiner Zeit immer voraus und hat sich diese Frage längst beantwortet. „Man denkt doch immer, man ist ich“, philosophierte er im Interview mit der „Zeit“. „Ist man aber nicht. Das ist so ein Aufbau, den man sich macht. Ich bin weder Bestsellerautor, auch wenn das gut klingt, und auch kein Komiker. Das Ich ist eigentlich nicht wesentlich und eigentlich nicht da. Verstehen Sie, was ich meine?“ Der Interviewer verstand nicht. Klar war aber, dass beide über Kerkelings Zeit der Krise sprachen, in der ihm seine Gallenblase entfernt wurde und er einen Hörsturz erlitt – und es Zeit für eine Pause war. Seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg 2001 verarbeitete er 2006 in einem Buch, das mehr als zwei Millionen Mal verkauft wurde und damit das erfolgreichste deutsche Sachbuch der Nachkriegszeit ist. Dass der Titel „Ich bin dann mal weg“ zum geflügelten Wort im deutschsprachigen Raum wurde, ist nur ein weiteres Kunststück, das dem scheinbaren Glückskind gelang. In Wahrheit hatte der Entertainer, wie jeder Mensch, sein „Packerl“ zu tragen. Pünktlich zum 50er erschien nun sein zweites Buch „Der Junge muss an die frische Luft“, in dem Kerkeling die Tragödie seines Lebens beschreibt. „Was sind 30 Jahre Karriere gegen dieses Ereignis?“, stellt er fest und spricht mit 49 Jahren erstmals öffentlich über den versuchten Selbstmord seiner Mutter. Nachdem sie offenbar den Tod von Hapes geliebter Oma Änne und eine misslungene Operation, nach der sie Geruchs- und Geschmackssinn verlor, nicht verkraftet hatte, nahm sie Schlaftabletten. Der Achtjährige war in dieser Nacht als Einziger bei ihr und wachte am nächsten Tag neben einer halbtoten Mutter auf. Margret Kerkeling wurde zwar noch lebend ins Krankenhaus gebracht, starb aber einige Tage später an einer Lungenentzündung. Dass das traumatische Erlebnis zwar Narben, aber kein unheilbares Geschwür hinterließ, lag sicher daran, dass Kerkeling in einer Großfamilie aufwuchs.

Oma Bertha, die Mutter seines Vaters, nahm trotz hohen Alters von 72 Jahren des Schicksal Hapes und eines seiner drei Geschwister in die Hand und startete ihre Karriere als Ersatzmutter mit den Worten: „Morgen könnte ich vielleicht Rouladen machen? Die isst du doch immer so gerne, Junge!“ Sie war es auch, die Kerkelings Homosexualität entproblematisierte. Als die ganze Familie sonntags zusammensaß, meinte sie: „Unser Hans-Peter wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Junggeselle bleiben.“ Selbst der Angesprochene, der sich seiner sexuellen Orientierung mit 14 Jahren noch gar nicht bewusst war, dachte nur: „Hä? Was redet sie denn da?“

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Danach war das Thema für immer vom Tisch. Die geschmackvolle Überleitung der Oma zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens: „Möchte wer Pudding?“ Auch sein öffentliches Outing wurde Kerkeling unfreiwillig abgenommen. Rosa von Praunheim, Mitbegründer der politischen Schwulen- und Lesbenbewegung, bezeichnete 1991 in der RTL-Sendung „Der heiße Stuhl“ Moderator Alfred Biolek und Komiker Hape Kerkeling als schwul – „ein Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der AIDS-Krise“, wie er später meinte. Doch Kerkeling hatte zu diesem Zeitpunkt nur eine Sorge: „Was denkt Tante Lisbeth?“ Sie war Nonne im Kloster, zeigte für den Neffen aber schlussendlich Verständnis. Als Kerkeling einen Tag nach dem Outing einen Bambi für seine Fernseharbeit bekam, dachte er nur: „Alle denken ich bin schwul, schwul, schwul.“

Hilfe in dieser schweren Stunde kam – auch – aus Österreich. Von der Bühne aus konnte der Geehrte Walter Scheel und Udo Jürgens im Publikum sitzen sehen. „Die haben mich beide sehr freundlich angelächelt, so nach dem Motto: ‚Junge, du stehst das schon durch.‘ Das hat es leichter gemacht.“

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Schwierig allerdings der Einstieg ins Fernsehgeschäft. Nachdem der sechsjährige Hape 1970 eine Rede des damaligen deutschen Bundespräsidenten Gustav Heinemann gesehen hatte, kam er zu der Überzeugung: „Das will ich auch“, und meinte damit, vor der Kamera zu stehen. Seine Begeisterung für Samstag-Abend-Shows festigten seinen Entschluss. Der 14-jährige stets pummelige Teenager, dem die Oma geraten hatte, vor der Umsetzung seines Zieles noch abzunehmen, bewarb sich 1978 trotz unvorteilhafter Figur bei unzähligen Radio- und Fernsehstationen, darunter auch beim ORF. Aber der schrieb wie viele andere nicht zurück. 1984 gelang dem hartnäckigen 20-Jährigen mit der ARD-Ulk-Show „Känguru“ schließlich doch der Durchbruch. Legendär auch mancher Sketch mit Österreich-Bezug. Für die Sendung „Darüber lacht die Welt“ wurde Kerkeling als aus Litauen stammender Nachfolger des damaligen GAK-Trainers Klaus Augenthaler präsentiert. Presse und Spieler bemerkten nichts. Als Albertas Klimawiszys die Mannschaft jedoch auffordert, unter „Kosmonautenbedingungen“ mit einer Hand am Ohr und zugehaltener Nase nach fünfmaligem Drehen um die eigene Achse aufs Tor zu schießen, beendet ein Spieler das Probetraining mit den Worten: „Du kannst uns am Oasch lecken.“ Vielleicht denkt sich Kerkeling derzeit Ähnliches, wenngleich er es mit „Es reicht“ feiner formuliert. Zum 50er am 9. Dezember widmet ihm das ZDF „Keine Geburtstagsshow“. Mit dabei natürlich Horst Schlämmer, Kerkelings erfolgreichste und bekannteste Figur. Ihn schickt er danach in Pension – und sich als Moderator großer Shows gleich mit. Und dann? „Schreiben, Hörbücher, Filme. Ich habe das noch nicht so genau geplant.“