Das Buch meines Lebens: Gerhard Roth
Moby Dick, der weiße Wal, ist ebenso ein Rätsel wie Kapitän Ahab mit dem Bein aus Walfischknochen, der tätowierte Harpunier Quiqueg und die Besatzung des Walfängers Pequod. Moby Dick, so will es Melville, sei nur ein Seeungeheuer: nicht das Böse, nicht Gott, nicht der Teufel, nicht das Schicksal, nicht der Wahnsinn, nicht die Verblendung, nicht ein Irrtum, dem man verfallen ist, auch nicht das Nichts. Aber dass das Monster mehr ist als der Dichter behauptet, erkennt man, wenn man das Buch wieder und wieder gelesen hat und das poetische Labyrinth der Sprache, in der es abgefasst ist, offen daliegt, wie auf dem gezeichneten Plan seines Architekten. Es ist ein gewaltiger Unterschied, stellt man erstaunt fest, ob man den Plan von oben sieht oder sich selbst im Labyrinth befindet, und man begreift allmählich, dass der Roman von Melville wie das Leben selbst ist, in dem man sich ein Leben lang verirren kann.
* Das aktuelle Buch über den Schriftsteller: „Unterwelten. Zu Leben und Werk von Gerhard Roth“ von Uwe Schütte, www.residenzverlag.at