Unterwegs im 19. Bezirk: Klabund, Setagayapark, Koi-Karpfen
Von Christian Seiler
Ich gehe über die
Hohe Warte, und damit meine ich zuerst einmal diese imposante Wiege des österreichischen Fußballs, die inzwischen als „Vienna Lounge“ ein eher randständiges Dasein führt. Die Vorstellung, dass sich auf diesem Hügel zwischen Heiligenstadt und Unterdöbling im Jahr 1923 80.000 Menschen einfanden, um das Länderspiel Österreich gegen Italien zu sehen – das Spiel endete, danke für die Frage, 0:0 –, ist fast schon surreal.
Es ist ruhig hier, wochentags, an einem späten Nachmittag. Nur ein paar Radfahrer kommen die Klabundgasse hinuntergerollt, die, danke auch für diese Frage, nach dem deutschen Schriftsteller Alfred Klabund benannt ist, dessen Wandlung vom Befürworter des ersten Weltkriegs zum Pazifisten und Bewohner des freigeistigen Monte Veritá ein gutes Beispiel für die Wandelbarkeit von Ideen und Gesinnungen ist. Klabund beschäftigte sich auch intensiv mit fernöstlicher Literatur. Und ich weiß nicht, ob es Zufall ist oder die Tat von Freunden des Beziehungsreichtums, dass am Ende der Klabundgasse, wo diese in die Hohe Warte mündet, ein japanischer Garten angelegt wurde, Ziel meines heutigen Spaziergangs.
Der Garten heißt Setagayapark. Sein Name spielt auf die Bezirkspartnerschaft zwischen Döbling und dem Setagaya-Stadtteil von Tokio an, dessen Bürgermeister Keji Ohba der Stadt Wien – oder besser gesagt: dem Bezirk Döbling – gleich mehrere Geschenke überantwortete: das Teehaus, die Pagode, eine Steinlaterne und den Eingangsbereich, durch den ich jetzt von der Hohen Warte, wo sich der Feierabendverkehr drängt, in den Frieden dieses charaktervollen Orts eintrete, den der Gartenarchitekt Ken Nakajima im Jahr 1992 angelegt hat.
Ein Teich voller großer, glänzender Koi-Karpfen empfängt mich. Am Rand des Wassers steht das Teehaus. Eine „lebensfrohe und neugierige“ Dame bietet auf einem Zettel am Fenster an, an gewissen Tagen „bei jedem Wetter“ ihre Erfahrungen in der „Qigong-Lebenspflege“ mit anderen Besuchern zu teilen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Teichs ist ein kleiner Kiesstrand aufgeschüttet, dahinter spannt sich eine elegante Brücke über das Wasser, das von weiter oben über elegante Kaskaden in den Teich fließt.
Nichts in diesem Park ist zufällig. Er symbolisiert eine japanische Landschaft, indem er deren Symbole – Quelle, Wasserfall, Teich, Steine und typische Pflanzen – auf zurückhaltende, ästhetische Weise inszeniert und lebendig macht.
Ich setze mich auf eine Bank und betrachte die gerade verblühenden Bäume und Sträucher. Es fühlt sich gut an, an einem Ort zu sein, wo jede Pflanze, jeder Stein seinen Platz und seine Bedeutung hat, auch wenn ich diese nicht entschlüsseln kann.
Neben dem Eingang befindet sich ein Steinmonument, auf dem in japanischen Schriftzeichen das Wort „Furomon“ eingraviert ist, Paradies. Für die Wiener Besucher ist am Eingangstor auch ein entsprechender Gruß festgemacht worden, der Rückschlüsse darauf zulässt, wie der Setagayapark von manchen Besuchern genutzt wurde. Der Gruß lautet: „Fischen streng verboten“.
christian.seiler@kurier.at