Verliebt in eine Landschaft
Von Christian Seiler
Ich gehe durch dessen südliche Tür in den Botanischen Garten der
Universität Wien und bin von einem Moment auf den anderen verzaubert.
Der Kontrast ist jedesmal von Neuem beglückend. Gerade stehe ich noch vor der prunkvollen Pforte zum Belvederepark, durch den sich Touristen aller Nationen drängen, um augenblicklich in Panik auszubrechen, vielleicht bereits vor dem Teich auf der Schweizergartenseite das beste Fotomotiv mit Sommerschloss zu verpassen. Statt den Wald aus Selfiesticks wähle ich aber den unscheinbaren Eingang auf der rechten Seite der Parkmauer, der aussieht, als käme man hier zum Abstellkammerl des Untergärtners. Dabei führt die Tür zu einer der prächtigen, verborgenen Landschaften Wiens, die ich nicht nur mag, sondern regelrecht liebe (jawoll: liebe).
Die Geräuschkulisse des Landstraßer Gürtels und der Prinz-Eugen-Straße ist plötzlich ausgeknipst, so als befänden wir uns auf Bahnsteig 9 3/4 in King’s Cross. Statt im übersichtlichen, auf Prunk und Beeindruckung ausgelegten Geäder des Schlossparks Belvedere (samt umstrittenem Canaletto-Blick) beginnen hier die Festspiele unaufgeregter, natürlicher Attraktionen, die nicht minder berührend sind.
Dieser acht Hektar große Garten wurde schon 1754 unter Kaiserin Maria Theresia angelegt. Er beherbergt etwa 12.000 Pflanzenarten aus sechs Kontinenten. Natürlich dient der Garten, der vom Botanischen Institut der Universität Wien bewirtschaftet wird (und wunderbare Durchblicke zum Belvedere hinüber gestattet; aber nicht umgekehrt), vor allem der Forschung und dem Artenschutz. Mir jedoch ist er als Aussichtspunkt ins Fortschreiten der Jahreszeiten ans Herz gewachsen. Es vergeht kaum eine Woche, in der ich hier nicht meine Runde drehe und darüber staune, was sich nicht alles verändert hat.
Jetzt zum Beispiel dieses Furioso der Baum- und Strauchblüte. Einverstanden, jeder blühende Baum ist schön, aber manche – schon mal den Magnolienbaum vor dem Stadtgartenamt im Stadtpark gesehen? – sind noch schöner, sind erstaunlich, abgehoben, atemberaubend attraktiv.
Das Ensemble der nach ökologischen, morphologischen und pflanzengeografischen Gruppen angeordneten Pflanzen geht gerade in einen Staffellauf der jeweils am prächtigsten blühenden Exemplare. Süße, frugale, zuweilen schwüle Gerüche vermischen sich. Exotische Kirschbäume speien Feuer. Sträucher tragen unvernünftig große Blütenstände. Insekten erholen sich angeregt von der Kälte, die abends in den Garten leckt.
Ich gehe zuerst gerade durch den Park, hinunter zum Haupteingang in der Mechelgasse. Dann drehe ich auf dem Absatz um und folge einem der angebotenen, mäandernden Wege, der mich Richtung Jacquingasse führt, die Höhe des Himmels über mir öffnet, mich wahllos zwischen gerade ausgepflanzten Jungpflanzen und seit Jahrhunderten verwurzelten Baumgiganten durchführt, mich nur belehren möchte, wenn ich Lust darauf habe, und mir das Vertrauen schenkt, dass ich nur entdecke, was ich entdecken möchte. Beste Zeit, diesen gesegneten Ort kennenzulernen: jetzt.