Trotzdem liebe ich Bad Gastein
Von Christian Seiler
Ich gehe durch Bad Gastein, und wie immer ist das ein erstaunliches Erlebnis. Das historische Zentrum des Orts, oder sollte ich sagen, der Stadt? – schließlich besteht der ungemeine Reiz von Bad Gastein ja darin, dass am wilden Ende des Gasteinertals eine kleine Großstadt mit prunkvollen, voluminösen Art-déco-Hotelkästen in die Landschaft gestemmt wurde – ist verödet, wie schon lange. Die imperiale Zeit, als hier die Kaiser Franz Josef und Wilhelm ihre Kuren absolvierten und, umgeben von höfischem Zinnober erster Klasse, im warmen, leicht radioaktiven Thermalwasser ihre Wehwehchen kurierten, ist lang vorbei. Selbst die Versuche, ein Echo von damals wieder hörbar zu machen, liegen inzwischen Jahrzehnte zurück: die Auftritte von Liza Minnelli im Grand Hotel Europe zum Beispiel, und alle Ideen, aus Bad Gastein ein Las Vegas der Alpen zu machen.
Trotzdem, vielleicht auch deshalb, liebe ich Bad Gastein. Ich bin aus dem Kötschachtal über die Kaiser-Wilhelm-Promenade Richtung Ortszentrum gegangen, habe zur Kenntnis genommen, dass ein weiteres Kurhaus, gleich neben dem fabelhaften Haus Hirt, den Betrieb eingestellt hat, habe in viele leere, aber auch in neu dekorierte Schaufenster geschaut, und bin immer wieder stehen geblieben, um dieses unglaubliche Spiel zwischen schroffer Natur und eleganter Architektur zu betrachten, wie es in Bad Gastein seit jeher auf die Spitze getrieben wird: das Grand Hotel, aus dem inzwischen auch das Casino wieder ausgezogen ist; das Hotel Straubinger, wo der legendäre Eckart Witzigmann seine Kochlehre absolviert hat und wo leere, zum Teil vernagelte Fenster die Ballade vom Niedergang singen; das brutalistische Kongresshaus, entworfen vom Architekten Gerhard Garstenauer, das Bad Gastein Mitte der Siebzigerjahre einen Entwicklungsschub verleihen sollte und inzwischen selbst zur abgewrackten Sehenswürdigkeit für Passanten geworden ist, die der Morbidität gescheiterter Architekturen etwas abgewinnen können.Ich gebe zu, ich bin so einer. Ich gehe kreuz und quer durch das verlassene Zentrum des Kurorts, einmal gelang es mir sogar, durch eine offene Hintertür das ehemalige Luxushotel Badeschloss zu betreten, durch dessen menschenleere Flure zu streichen und andächtig ein paar Minuten im ehemaligen Salon zu verbringen, wo das Wasser von der Decke tropfte, aber ein Flügel noch immer Eleganz verströmte. Ich kann die Melancholie genießen, die an solchen Orten gedeiht. Sie ist bitter und süß wie die Filmmusik von Max Richter.
Der Niedergang Bad Gasteins ist inzwischen gestoppt. Gastronomen, die das Einmalige des Orts erkannt haben, zelebrieren es in ihren Häusern, und das Land Salzburg hat durch den Ankauf des Ortszentrums die wichtigsten Baudenkmäler Bad Gasteins aus der jahrzehntelangen Umklammerung von Spekulanten befreit. Bauzäune vor dem Straubinger, dem Badeschloss und dem ehemaligen Postamt versprechen schon, dass hier an der Zukunft des Ortes gearbeitet wird. Ich hoffe sehr, dass die rasche Zukunft der ewigen Schönheit Bad Gasteins gerecht wird.