Leben/Gehen

Kennt ihr Schubert, Franz?

Ich gehe die Erdbergstraße entlang, die, wie ich mit Vergnügen bemerke, den Ida-Bohatta-Platz kreuzt, nur ein paar Meter hinter dem Rochusmarkt. Weil ihr fragt: Eine Kinderbuchautorin, die kleine, süße Figuren zeichnete, wie Ali Mitgutsch. So was weiß man.
Zweite Frage: Kennt ihr Schubert, Franz? Eh. Weil auf Nr. 17 befindet sich an der Erdbergstraße der sogenannte Schubertturm, wo der Meister den Sommer 1816 verbrachte, woran eine Gedenktafel erinnert. Im Garten des Turms, auch so viel erfahre ich, wurde in jenem Sommer vor 201 Jahren Schuberts Kantate „Prometheus“ aufgeführt. Nur: welcher Garten?
Ich trete einen Schritt zurück. Arg. Der Schubertturm ist wie eine dreidimensionale Abbildung an die Front der neuen Wohnanlage „Am Schubertturm“ geklatscht worden, oder, nein, genau umgekehrt: Besagte Anlage mit dem schönen Namen ist um das denkmalgeschützte Ensemble herumgebaut worden und hat ihm – pfiffig! – die Tiefe genommen, die Plastizität, die Lufthoheit – und natürlich den Garten. Statt eines Gartens umrahmt nämlich ein Geschäft den Schubertturm, es verkauft Boxspringbetten, und im Erdgeschoß von Schuberts Turm, in das ein Schaufenster hineingebrochen wurde, steht ein besonders schönes Ansichtsexemplar. Vielleicht ist das ja eine Metapher für „Ruhe in Frieden“.
Ich will weitergehen und frage mich plötzlich, wohin die Erdbergstraße eigentlich führt. Aber ich weiß es nicht. Also gehe ich nachschauen. Vorbei an der Henkel-Fabrik, dem Kardinal-Nagl-Platz, vorbei an Fleischern, Friseuren, Polizeiuniformverkäufern, Ethnowirtshäusern, Nagelstudios, dem Tramwaymuseum, über die Schlachthausgasse in den Abschnitt Town-Town, wo Wien plötzlich aussieht wie New York, wo es hässlich ist. Hochhäuser, Glaskon-struktionen, Tiefgaragen, und plötzlich bin ich unter der Brücke der Stadtautobahn und werde fast umgenietet von den vielen Menschen, die hier am Erdberger Bus-Terminal ihren Platz im Bus nach Podgorica oder Sarajevo kriegen müssen. Aber es herrscht keine Hektik, eher freudige Erwartung wie vor einer Theateraufführung oder einem Fußballspiel, weil sich die Reisenden gleich auf den Weg machen werden, eine Nacht auf Autobahnen und Landstraßen, egal, eine Freude.
Ein Würstelmann hat direkt unter der Tangente seine Theke aufgebaut und einen so unromantischen Schanigarten rundherum gebaut, dass ich mich sofort hinsetzen muss. Auf ein Red Bull. Sugarfree.
Später gehe ich weiter, denn die Erdbergstraße ist noch immer nicht zu Ende. Ich sehe die Gasometer, ziemlich viele Autos, weil sich hier ein Mega-Denzel ausbreitet, ein Mini-Denzel, und dann gibt es plötzlich nur noch Industrie: die Wiener Netze, die früher Gaswerk hießen, die Linde-Fördertechnik, und dann macht die Erdbergstraße einen Schlenker und bewegt sich auf die Ostautobahn zu, die zum Flughafen und nach Bratislava führt, nur mehr durch ein paar Leitplanken von mir getrennt.
Aber Trost ist nah. Auf Nummer 330 empfängt mich KFZ Maier mit einem Holzzaun im schönsten Blau, das ich seit Langem gesehen habe.