Leben/Gehen

Jetzt kommt der Hustinettenbär

Ich gehe durch die Porzellangasse und denke an Hustinetten. Plötzlich ist mir wie ein Erweckungserlebnis der Jingle für diese beliebten Hustenzuckerl eingefallen, der schon seit ein paar Jahrzehnten außer Betrieb sein muss. Vielleicht fällt er mir gerade deswegen ein, weil sich mein Gehirn in einem Plätzchen ausrasten wollte, wo damals nicht viel hängengeblieben ist, und dabei schmerzhaft – als ob man nachts mit bloßen Füßen auf einen Legostein tritt – auf das Liedchen stieß: "Nimm den Husten nicht so schwer / jetzt kommt der Hustinettenbär."Ich versuche, mich daran zu erinnern, wie diese Hustinetten geschmeckt haben und entwickle dabei eine unappetitliche Menge an Speichel, während die Erinnerung den Duft von Wick VapoRub abruft.

Was hat mich heute eigentlich so durcheinander gebracht? Während ich leise "Nimm den Husten nicht so schwer" singe, fällt mir ein, dass mein Freund, der Buchhändler vom 777 zuletzt, als er mich die Domgasse entlang kommen sah, exakt dieses Lied gesummt hat, freilich mit dem rätselhaften Lächeln auf den Lippen, das mich immer ein bisschen aus der Fassung bringt. Was wollte er mir damit sagen? Habe ich gehustet? Oder bewege ich mich wie der Hustinettenbär? In meiner Erinnerung – wie gesagt ein löchriges Terrain – wackelt der Hustinettenbär nämlich ungefähr so elegant ins Bild wie ein betrunkener Ex-Fußballer, der nach dem Ende seiner Karriere vierzig Kilo zugenommen hat.In diesem Moment fliegt neben mir die Beifahrertür eines Kraftfahrzeugs auf, und ein Herr steigt aus, den ich augenblicklich als meinen früheren Kollegen Robert B. erkenne. Natürlich bleibe ich stehen und begrüße ihn mit einem herzlichen "Servas", und im Nu sind wir mitten im Gespräch. Wie geht es dir, ja, mir auch, doch, gesund, ja, man bemüht sich, und als die Unterhaltung bestimmt schon neunzig Sekunden alt ist, bemerke ich, dass ich den Mann verwechselt habe.

Das ist nicht Robert B. Das ist jemand, den ich noch nie gesehen habe, und das einzige, was uns verbindet, ist die Tatsache, dass wir ein vertrautes Gespräch führen, ohne zu wissen mit wem.Ich bin ja sonst ein Meister solcher Gespräche. Oft finde ich im weiteren Verlauf eines mir aufgezwungenen Dialogs auch heraus, wer das ist, der mich gerade angesprochen hat. Aber diese Möglichkeit besteht hier nicht. Stattdessen habe ich ja herausgefunden, dass ich meinen Gegenüber nicht kenne. Wahrscheinlich sucht der falsche Robert gerade krampfhaft nach einer Idee, wer ich sein könnte und kommt doch zu keinem Ergebnis. Natürlich gäbe es jetzt die Möglichkeit zu sagen, entschuldigen Sie, ich fürchte, ich habe Sie verwechselt. Aber nachdem wir gerade erst per Du waren und uns empathisch über unsere Befindlichkeiten ausgetauscht haben, steht diese Möglichkeit nicht zur Verfügung.Stattdessen würge ich das Gespräch patschert ab – "entschuldige, ich muss jetzt echt weiter" –, und der falsche Robert verabschiedet sich erleichtert. "Weißt du, wen ich getroffen habe?", wird er zu Hause erzählen: "Ich habe echt keine Ahnung."