Heiligenkreuzerhof: andere Stadt, andere Zeit
Von Christian Seiler
Ich gehe durch den kleinen Torbogen, der im Linksschwung der Schönlaterngasse ganz plötzlich aufgeht wie die Sonne im Hochgebirge, kaum zu sehen, und bücke mich in den
Heiligenkreuzerhof. Schon bin ich in einer anderen Zeit, einer anderen Stadt.
Verstehen Sie mich nicht falsch, die Schönlaterngasse ist natürlich selbst eine Pracht, samt den Geschichten, die hier verortet sind, Stichwort „Basilisk“, aber auch, etwas neuzeitlicher, das barocke „Stadthaus im Herzen der Innenstadt“, das man sich auf diversen Immobilienplattformen anschauen kann. Das Haus wurde hochherrschaftlich restauriert und ist zu einem „Preis auf Anfrage“ zu haben, und zwar schon seit einiger Zeit. Wer sich dafür interessiert, soll die Nummer 01 5123699 wählen und sich bei mir nach erfolgtem Handel erkenntlich zeigen. Wohnrecht auf Lebenszeit im Dachgeschoß würde genügen.
Andere Stadt, andere Zeit: Der Heiligenkreuzerhof stammt aus dem zwölften, dreizehnten Jahrhundert und gehört dem Zisterzienserstift, dessen Mönche so schön gregorianische Choräle singen. Der Hof umfasst das Volumen zwischen Schönlatern- und Grashofgasse und ist von einem Karree aus Stiftshof, Prälatur, Kapelle und Zinshaus umgeben. Er verströmt urbane Ruhe, weil hier, anders als in weiten Teilen der Wiener Innenstadt, kein Durchgangsverkehr herrscht.
Fällt Ihnen der semantische Feinsinn auf? Durchgangsverkehr bezeichnet nämlich nicht Fußgänger wie mich, die hier willkommen sind, sondern Autos, die aber nicht durchfahren, sondern nur parken dürfen. Wenn ich mir, neben dem Wohnrecht in der Schönlaterngasse, noch etwas wünschen darf, dann nur, dass dieser in seinen Proportionen so Goldener-Schnitt-mäßige und in seiner Stimmung berückende Hof einmal autofrei wird. Dann nämlich kehrt endgültig das 18. Jahrhundert zurück, in dem der Heiligenkreuzerhof zuletzt umgebaut wurde, und die Jetztzeit macht sich nur mehr in Gestalt singender Geigen und den Koloraturen übender Trompeter bemerkbar, vielleicht auch im Klirren des Geschirrs des Wirtshauses, das hier jetzt schon einen der schönsten Gastgärten dieser Stadt bespielt.
Ich gehe über das Kopfsteinpflaster und betrachte das regelmäßige Muster der Fenster, das die Fassade der Mietshäuser prägt, sehe Rosenstöcken dabei zu, wie sie die Straßenlaternen erklettern, grüße Menschen, die vor ihrer Werkstatt sitzen, Kaffee trinken und eine Zigarette rauchen, weil mich dieser Hof zur grundlosen Freundlichkeit inspiriert, natürlich werde ich freundlich zurückgegrüßt.
Ich betrachte die Statuette des „Bernardus“ im Hof neben der Bernhardskapelle und bewundere den schönen Schwung des Torbogens, der zu den historischen Festräumen im Refektorium führt, die jetzt zur Angewandten gehören. Wenn ich den Hof dann in Richtung Grashofgasse verlasse, freue ich mich noch einmal kurz an der pittoresken Neonschrift, die den „Kärntner Hof“ seit den Fifties beleuchtet. Aber schon ein paar Schritte weiter, am Lugeck, bin ich endgültig wieder in der Gegenwart mit ihrem Lärm und Gedränge angekommen.
christian.seiler@kurier.at
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