Garten der neuen Perspektiven
Von Christian Seiler
Ich gehe durch eine Allee aus Palmen. Sie leitet mich in einem eleganten Bogen zu einem großen Tor, in das eine kleine Tür eingebaut ist. Mit einer erzwungenen Verbeugung trete ich in den Garten ein, den
André Heller „Anima“ genannt hat.
Mich empfängt ein Bambushain so hoch wie ein Ballsaal, in dessen Flucht drei Statuetten mit afrikanischen Köpfen stehen. An dessen Ausgang bieten sich verschiedene Wege an, ich nehme den, der mich zur Figur eines Esels führt, der hier als „feiner Herr“ auftreten darf: eine kleine Pointe Hellers zur Ehrenrettung der Mulis, die es in Marokko nicht immer leicht haben.
Ich gehe auf verschlungenen Wegen an Bäumen und Stauden vorbei, lasse den Blick über die verschiedenen Nuancen von Grün schweifen, palmenwedelgrün, bananenblattgrün, kaktusstammgrün, und bleibe an bunten Ausrufezeichen hängen: Fahnen, die in der Höhe der Baumkronen in die Landschaft montiert sind; überdimensionale Kegel in Signalfarben, die der Art nachempfunden sind, wie im Souk, dem labyrinthischen Markt von Marrakesch, die Gewürze präsentiert werden; inspirierende Irritationen wie ein aus rostigem Stahl gefaltetes Schiff namens „Espoir“ (dt. „Hoffnung), das am imaginären Horizont durch den Garten schwebt.
Ich steige in einen tiefer gelegten orientalischen Garten hinunter, durchschreite ein Feld, wo Rosen in allen Farben einen Pavillon umgeben, in dessen Mitte in einem Wasserbecken unzählige Rosenblüten schwimmen. Ich passiere surreale Plastiken, die mich freundlich grüßen, und einen dürren Baum, dessen Stamm mich mit wilden Fratzen erschreckt, tauche in dunkle Pflanzentunnel ein, freue mich am Spiel des Schattens auf den Wegen und dem Singen der Vögel in den Bäumen – und erinnere mich schockartig daran, dass ich hier schon einmal war, vor fünf oder sechs Jahren, und mit schmatzenden Gummistiefeln im Schlepptau von André Heller durch den Gatsch gehatscht war, aus dem heute dieser prächtige Garten geworden ist.
Heller hatte im Gatsch etwas gesehen, was ich nicht sah. Er sah einen üppig sprießenden, eleganten, mit seinen über 20 Meter hohen Signalpalmen auch stolzen Garten, wo ich bloß eine Fläche roter Erde erkannte, ein drei Hektar großes Überbleibsel einer aufgelassenen Rosenfarm.
Aber jetzt gehe ich weiter, eine Brücke führt über einen von Schilf und grauen Gräsern umrahmten Teich, hinüber zum Café, wo ich mir einen marokkanischen Tee bestelle. Heller, denke ich mir, ist schlicht und einfach größenwahnsinnig. Zum Glück. Sein Garten ist eine Zumutung, die Verhöhnung des Klein-Klein-Denkens, die majestätische Antithese zum Bausparvertrag. Ich nehme einen Schluck vom starken Tee und rekapituliere die Fakten, die angesichts dieser blühenden Landschaften ins Unwahrscheinliche diffundieren: dass der megalomane Heller all das allein in die Landschaft stemmen ließ, dass er sozusagen die Anima hatte, all sein Geld in meine Fassungslosigkeit zu versenken.
Ich trinke aus und gehe weiter, tiefer in den Park hinein, zu neuen Perspektiven, und wende die Lehre des Tages wie eine Münze zwischen meinen Fingern: Bescheidenheit ist eine Zier, klar. Aber zur rechten Zeit sind wir uns ein bisschen Größenwahn schuldig.