Eine Kirche, die glücklich macht
Von Christian Seiler
Ich gehe durch den Maurer Wald, den ich schätze, weil er in seiner Biedermeierhaftigkeit gut zu Wiens Südwesten passt. Vorbei am Pappelteich, dessen einziger Makel darin besteht, dass die Pappeln, die ihm den Namen gespendet haben, vor langer Zeit gefällt werden mussten, weshalb der Teich heute eigentlich „Kaulquappenteich“ heißen müsste.
Weil ihr fragt: „Biedermeierhaftig“, damit meine ich diesen hellen, gut durchlüfteten Mischwald, in dem das Sonnenlicht genauso tanzen darf wie die kleinen Insekten, die das schräg durch die Baumkronen fallende Licht erst sichtbar machen. Dies ist kein finsterer Tann, kein teutscher Wald, hier hätten sich Siegfried und Hagen nicht duelliert, sondern wären miteinander auf eine Schichttorte aus Apfel, Nuss und Mohn in die „Schießstätte“ gegangen – wahrscheinlich wären uns dann auch ein paar bleierne Stunden in der Oper erspart geblieben, Stichwort: Tannhäuser. Aber man weiß ja nie.
Pappelteich – Gütenbachtal – Stadtwanderweg 6 – Tiergartenmauer – Gasthaus Schießstätte: Der Weg ist nicht zu verfehlen, und er präsentiert sich offenherzig, hell und zugänglich, keine Schwierigkeiten, keine überzogenen Steigungen, dafür zahllose natürliche Szenenwechsel, Aus- und Durchblicke und das stetige Versprechen des Wienerwalds: Hier ist noch mehr; hier geht noch eine ganze Menge; bieg ab; verlauf dich; jetzt!
Der eigentliche Grund jedoch, warum ich diesen Weg so liebe, steht übereinandergewürfelt auf dem Georgenberg, wo meine Runde endet: die Wotrubakirche. Diese aus 152 übereinander aufgeschichteten Betonblöcken von ungleicher Größe errichtete Kirche, dem sogenannten „Brutalismus“ zugehörig, ist etwas ganz Besonderes für mich. Sie tritt den Beweis an, dass Zeitgenossenschaft, Beton und Landschaft eine zauberhafte, inspirierende, ja berührende Allianz miteinander eingehen können.
Fritz Wotruba, einer der bekanntesten und einflussreichsten Bildhauer der österreichischen Moderne, begann 1964 mit der Planung der Kirche, der er einen Satz von erschütternder Klarheit zugrunde legte: Er wollte „etwas gestalten, das zeigt, dass Armut nicht hässlich sein muss, dass Entsagen in einer Umgebung sein kann, die trotz größter Einfachheit schön ist und auch glücklich macht ...“
1976, ein Jahr vor dem Tod Wotrubas, wurde die Kirche eröffnet, und seither hat sie nichts von ihrer bescheidenen, verzaubernden Aura eingebüßt, im Gegenteil. Der grobe Beton ist sichtbar gealtert, die Glasflächen wurden erneuert und besser abgedichtet. Nur das Mobiliar lässt Rückschlüsse auf die Zeit zu, in der es entworfen wurde.
Aber das Bauwerk selbst ist unerschütterlich in seiner asymmetrischen Wirkungsmacht. Müde und zufrieden
suche ich mir einen Sitzplatz auf den Blöcken der Fassade oder im Inneren der Kirche, schaue hinunter Richtung Stadt und freue mich kindlich darüber, wie die Kunst auf dem Georgenberg den Beweis antritt, dass sie allein es mit der Zeit aufnehmen kann.
Wenn er geöffnet hat, jetzt zum Heurigen „Zahel“ auf dem Maurer Hauptplatz. Sonst zum „Steinklammer“.