Leben/Gehen

Christian Seilers Gehen: Wo Wien ein Versprechen ist

Klingt ein bisschen unromantisch: Aber es hat auch Vorteile, dass der Frühling noch nicht flächendeckend ausgebrochen ist. Als ich zuletzt von Hütteldorf nach Neuwaldegg marschierte, wurde ich im letzten Teil dieser Wanderung, nämlich auf dem bewaldeten, aber noch nicht zugewachsenen Abstieg von der Jubiläumswarte Richtung Hernals mit einer derart wunderbaren Sicht über Wien belohnt, dass ich immer wieder stehen bleiben musste und das vor mir ausgebreitete Wien mit einem Gefühl betrachtete, das echter Liebe schon ziemlich nahekommt.
Ich kam von der U-Bahn-Station Hütteldorf und ging zuerst am Allianz-Stadion des SK Rapid vorbei, nicht ohne über diese überdimensionale Nicht-Architektur den Kopf zu schütteln: Gab es wirklich keine inspiriertere Lösung für den Stadionneubau als diesen Unort, der mit Architektur soviel zu tun hat wie Rapid mit der Champions League?
Von der Linzer Straße bog ich auf den Flötzersteig ein, wo sich zwei interessante Phänomene vermischten: der auf eine schmale Straße zusammengepresste Großstadtautoverkehr (sprich: elendslanger Stau) und eine vielgestaltige Kleingarten- und Villenlandschaft namens Rosental/Stanaboden oder Klein Semmering. Ich schlängelte mich durch Neben- und Seitengassen, vorbei an Tirolerhäusern und Architektenvillen, bis ich beim Eingang zum Dehnepark ankam. Der Park ist ein Überbleibsel des Landsitzes der Fürstin Antonie Paar, geborene Liechtenstein. Er trägt seinen Namen nach dem ehemaligen Besitzer der Hofzuckerbäckerei Demel, August Dehne, dem die Liegenschaft auch einmal gehörte.
Ich durchquerte die Anlage mit ihrem majestätischen Baumbestand, bis ich zur Mauer der Steinhofgründe kam, ging dieser entlang und schlüpfte durch den Eingang am Heschweg in den Park. Dort folgte ich dem Trampelpfad bis zur denkmalgeschützten Feuerwache Steinhof, bewunderte ein paar Bergaufjogger mit ihren fitten französischen Bulldoggen und stieg meinerseits hinauf zur Jubliäumswarte, die schlank und elegant aus dem Gallitzinberg wächst, 31 Meter hoch, womit sie auf ihrer obersten Plattform eine Seehöhe von 480 Metern erreicht.
Leider befand sich die Warte noch in der Wintersperre. Es war föhnig, das versprach spektakuläre Fernsicht. Ein bisschen enttäuscht machte ich mich an den Abstieg Richtung Kreuzeichenwiese, musste ein paar keuchende Mountainbiker aufmuntern, die mir entgegenkamen und folgte schließlich dem Wegweiser Richtung Neuwaldegg. Der Forstweg, auf dem ich jetzt bequem bergab ging, ist nicht weiter bemerkenswert, dafür rückte bei den immer heller werdenden Durchblicken die Stadt als Fläche ins Blickfeld, interessant beleuchtet von der tief stehenden Sonne, die weite Teile der Donaustadt illuminierte, während im Vordergrund Ottakring und Hernals im Schatten lagen und die Innenstadt mit ihren Türmen und Kuppeln sich klein und dezent ausnahm gegen die Hochhauslandschaft der Donaucity und die dunklen, mächtigen Türme des AKH.
In seinem Inneren ist Wien ein Versprechen. Von dort oben betrachtet löst die Stadt jedes Versprechen ein.

christian.seiler@kurier.at

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