Christian Seilers Gehen: Eine Begegnung der besonderen Art
Von Christian Seiler
Ich drehte unter der Erde eine Runde auf dem Meiselmarkt. Mein Buchhändler hatte mir den Hinweis gegeben, dass man hier hochinteressante Knoblauchwürste bekommen kann, und ja: Gibt es. Es gibt auch so ziemlich alles von Rind, Schwein und Lamm, je nachdem, bei welchem Stand man die Vitrinen kontrolliert.
Mit einem kleinen Päckchen, dessen Inhalt mich weit über eine Mahlzeit hinaus beschäftigen sollte, verließ ich den Markt, der mit der U3-Station Johnstraße bunkermäßig in das zur Schmelz ansteigende Areal des fünfzehnten Bezirks verschränkt ist, und machte mich auf den Weg stadteinwärts. Ich passierte die Rudolfsheimer Pfarrkirche, der sie eine sogenannte „Wasserwelt“ vor die Tür gebaut haben, einen der zahllosen schiachen Brunnen, wie man sie in Wien regelmäßig findet. Dahinter ein Spielplatz und an dessen Ende ein orangefarbener Christbaum, der mit Solarpaneelen bestückt ist: ein etwas verstörendes Ensemble, ästhetisch sowieso, aber auch was die potenzielle Wirkungsweisen betrifft: Kleinkraftwerk? Christkindlmarkt? Villa Kunterbunt?
Ich wich über die Hüglgasse zur Goldschlagstraße aus, die parallel zur Märzstraße Richtung Gürtel verläuft. Hier hatte ich vor vielen Jahren ein interessantes Erlebnis gehabt. Ein gewisser Hans Orsolics, Ex-Boxeuropameister im Halbweltergewicht, betrieb hier einige Jahre nach seiner Zeit ein Beisl, und ich war als junger Reporter auf der Suche nach ihm, ich weiß nicht mehr, welche Geschichte mir vorgeschwebt war. Ich fand das Beisl, Orsolics stand an der Bar, langes Haar, Seehundschnauzer, und als ich ihn fragte, ob er kurz Zeit für mich habe, schaute er mich ein bisschen zu genau an und antwortete, hier gebe es keinen Orsolics, da müsse ich woanders suchen. Jetzt nahmen auch schon ein paar der anwesenden Herren grinsend an der Unterhaltung teil und ich stand vor der Alternative, entweder darauf zu bestehen, dass Orsolics Orsolics sei, auf die Gefahr hin, dass er es mir wirklich beweist, oder mich mit der Auskunft zufrieden zu gehen und unter dem grellen Gelächter der Kiebitze das Beisl zu verlassen. Ich entschied mich für Möglichkeit zwei, es war unangenehm.
Als ich jetzt die Goldschlagstraße entlangging, versuchte ich, den Ort dieser unrühmlichen Begegnung zu lokalisieren, es gelang mir nicht. Stattdessen nahm ich wahr, wie sich der Charme des Bahnhofsviertels Rudolfsheim-Fünfhaus gerade mit dem der Bobo-Zentrale Neubau vermengt, als ich am Reithofferpark vorbeiging, der Radweg hat inzwischen mehrheitlich die Autos verdrängt, gut so, und ein paar schickere Bars und Imbisse gibt es neben den verspiegelten Nur-für-Herren-Spots auch schon. Die Bar Téte-A-Téte, Burschik’s Wermuterzeugung und schließlich, fast schon beim Gürtel, die wunderbare Wiener Kulturdoppelzange, Ecke Goldschlaggasse/Löhrgasse: Das Billardcafé Weingartner – herrliches Café, und was für ein Zeitungsangebot! – auf der linken und die Billardschule Weingartner auf der rechten Seite. Nur falls jemand fragt, wohin ich plötzlich verschwunden bin.
christian.seiler@kurier.at
freizeit für daheim
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