Christian Seilers Gehen: Das kleinste Staatsgebilde der Welt
Von Christian Seiler
Ich weiß nicht, wie oft ich an der Republik Kugelmugel vorbeigegangen bin, bis ich mir das kleinste Staatsgebilde der Welt ein bisschen genauer angeschaut habe. Staatsgebilde, ha! Der Staat ist nicht mehr als ein kugelförmiges Haus an der Prater Hauptallee. Es ist von einem mit Stacheldraht gekrönten Maschendrahtzaun umgeben. Ein rot-weiß-rot bemaltes Türl wird von einem Schild verziert, auf dem wir lesen: „Republik Kugelmugel. Grenzübergang“.
Ich umrunde die freie Republik Kugelmugel. Das dauert etwa zwanzig Sekunden, es ginge aber auch schneller. Ein Schild, das dem blau-weißen Layout der Wiener Straßentafeln nachempfunden ist, verortet die Republik Kugelmugel als „2., Antifaschismusplatz“, was durch eine Informationstafel präzisiert wird: „Dieser Platz ist dem großen demokratischen Revolutionsführer Edwin Lipburger, der hier begonnen hat, die ganze alte Moral abzuschaffen und alle Korruptionsformen unter jeder Maske zu bekämpfen und auszumerzen, gewidmet.“ Das Konterfei des Revolutionsführers ist übrigens in einer simplifizierten Schwarzweiß-Version, ganz Che-Guevara-Style, auf dem Grenzübergangsschild zu sehen.
Wer ist dieser Revolutionsführer, von dem man außer in Kugelmugel noch nicht wirklich viel vernommen hat – und wie verlief die kugelmugel’sche Revolution? Bei Edwin Lipburger (1928 – 2015) handelte es sich um einen Vorarlberger Künstler, und seine Revolution fand nicht im Prater, sondern im Niederösterreichischen statt. In Katzelsdorf bei Wiener Neustadt stellte Lipburger 1971 sein Kugelhaus auf eine Wiese, ohne sich um die nötige Baugenehmigung zu kümmern. Der Baubehörde erklärte er, dass es sich dabei nicht um ein Gebäude im Sinne der Bauordnung handle, sondern um einen „positiv konstant gekrümmten zweidimensionalen Raum“, auf den die entsprechenden Vorschriften nicht angewendet werden könnten. Später stellte Lipburger zur Untermauerung seiner These gekrümmte Ortstafeln auf, die prompt von der Gendarmerie beschlagnahmt wurden. 1976 rief er schließlich die „Republik Kugelmugel“ aus, was einen Rechtsstreit auslöste und Lipburger ein Verfahren wegen Amtsanmaßung bescherte. Er wurde vom Bezirksgericht Wiener Neustadt zu einer zehnwöchigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er auch – wie jeder gute Revolutionsführer – verbüßte.
Als Retter in der Not sprang der damalige Wiener Kulturstadtrat Helmut Zilk ein, der das Kugelhaus, also die gesamte Republik Kugelmugel, in den Wurstelprater verfrachten ließ, wo sie seither eine Fläche von knapp hundert Quadratmetern beansprucht. Ich trete einen Schritt zurück und finde, dass diese hundert Quadratmeter als Mahnmal für etwas verrücktes, kreatives Denken, einen liberalen Umgang damit und einen Sinn für Humor gut angelegt sind. Wie schreibt der Revolutionsführer auf einem hektografierten Zettel im Schaukasten an der Maschendrahtgrenze: „Kugelmugel markiert den Topos der Souveränität im Punkt der Einheit von Idee und reinster Idealität inmitten der euklidischen hysterischen Schizophrenie“.
Na eben. Noch Fragen?