Leben/Gehen

Christian Seilers Gehen: Beim Waldbauernbub

Krieglach ist nicht im strengen Sinn schön. Um den kleinen, hübschen Ortskern des steirischen Dorfs wachsen die Jahresringe der Ökonomie, der Tischler braucht eine Halle, das Sägewerk hat mehr Holz, als es schneiden kann. Schon stehen die Industrieschachteln um das Dorf herum, die sind halt das Erste, was man sieht, wenn man sich auf die Suche nach dem berühmten Waldbauernbuben macht.
Besagter Waldbauernbub heißt Peter Rosegger – versucht einmal, seinen Namen richtig steirisch auszusprechen: Er wird auf der zweiten Silbe betont, RosEGGer; sobald ihr RosEGGer so aussprecht, dass es sich wie ein wütendes Bellen anhört, redet ihr wie die Leute hier.
Rosegger (1843 bis 1918) war meiner Großmutter so ans Herz gewachsen. Sie pflückte sich auch noch im hohen Alter Roseggers Erzählung „Als ich noch ein Waldbauernbub war“ aus dem Bücherregal und begleitete den kleinen Peterl auf stundenlangen Fußmärschen durch die steirischen Wälder, barfuß über Stock und Stein, nur um ein Viertel Butter einzukaufen oder eine Schachtel Aspirin.
Die Geschichten sind reine Folklore. Sie verklären die Schrecken der Wildnis, und Rosegger wurde den Ruf, ein furchtbarer Kitschbruder zu sein, Zeit seines Lebens nicht los. Dabei hat er sich als fleißiger Romancier und Herausgeber der „Gartenlaube“ echte Verdienste erworben. Niemand hat das ländliche Leben während der Regentschaft Kaiser Franz Josephs besser katalogisiert und aufgezeichnet.
Ich ging also meiner Großmutter zuliebe zuerst ins kleine Rosegger-Museum in Krieglach. Dorthin hatte sich der Herr Dichter zurückgezogen, als es ihn nach Jahren im Wilden nach ein bisschen städtischem Komfort verlangte, und von dort mache ich mich auf den Weg in die „Waldheimat“. Zuerst mit dem Auto bis zur Waldschule, von dort auf einer Runde über die Kluppenegger Alm und die Ziesler Alm zurück zum nahen Geburtshaus von RosEGGer, das mich merkwürdig berührte.
Der Bauernhof auf dem Alpl, des Waldbauernbuben Hauptbühne, strahlte mit seinen tiefen Decken und dem Geruch nach Holz nicht nur etwas Folkloristisches, sondern durchaus Heimeliges aus. Vielleicht war ich auch bloß milde gestimmt, weil ich in der nah gelegenen Jausenstation ein tadelloses Gulasch verzehrt und mit zwei Seideln Bier entfettet hatte, und ich stellte mir für einen Augenblick vor, wie es wäre, hier zu bleiben und über die Welt im Allgemeinen und das Alpl im Speziellen nachzudenken. Mit den Vögeln aufstehen. Im Schein des Kienspans ein paar Zeilen zu Papier bringen.
Allerdings nahm ich dann die theoretisch zur Verfügung stehenden Möbel in Augenschein, die mich sogar in meiner Fantasie ein bisschen realistischer an die Sache herangehen ließen: erstens die Länge der Betten; hier geht keiner ohne Rückenweh raus. Zweitens die Schwärze der Decke; es muss nach Rauch gestunken haben wie in einer Südtiroler Speckselcherei.
Ich ging also zurück zur Waldschule, um mit dem Automobil zurück in die Welt zu reisen, und rekapitulierte, was ich gelernt hatte: RosEGGer. RosEGGer.

christian.seiler@kurier.at

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