Leben/Gehen

Christian Seilers Gehen: Auf der Suche nach nichts - im 7. Bezirk

Ich trieb mich im siebenten Bezirk herum. Ich war auf der Suche nach nichts, da ist der Siebente perfekt. Kaum stand ich vor einem Haushaltsgeschäft in der Kirchengasse, überlegte ich die Anschaffung eines Email-Reindls, das mit dem hübschen Cardigan im Nebengeschäft nur eines gemeinsam hatte: nämlich dass ich beides nicht brauche. Ich nahm im Gärtchen einer bizarren Aida einen Espresso, ohne Lust auf Kaffee zu haben, schaute in der Mariahilfer Straße zu einem Turnschuhgeschäft, das 70 Prozent Rabatte versprach, wegen Geschäftsauflösung. Das Geschäft war schon aufgelöst, die Tür geschlossen.

Ich bog von der Mariahilfer Straße in die Capistrangasse ein, benannt nach einem adeligen Wanderprediger aus Neapel, der im 15. Jahrhundert ein Popstar seiner Zunft war. Obwohl er nur auf Italienisch und Latein predigte, platzte sowohl die Minoriten- als auch die Stephanskirche bei seinen Auftritten aus allen Nähten. Am Hof und am Stephansplatz hielt der charismatische Capistran Freiluftpredigten, die so gut besucht waren wie heutzutage das Donauinselfest. Dann gründete er hier, in der ehemaligen Laimgrube, das erste Franziskanerkloster Österreichs. Predigte in Wien gegen die Türken. Ging nach Prag, predigte gegen die Hussiten. Zog nach Ungarn und kämpfte in einem Kreuzheer unter Johann Hunyadi vor Belgrad gegen die Türken. Wurde 1690 heiliggesprochen. Inzwischen ist bekannt, dass der heilige Capistran auch ein aktiver Antisemit war, gegen Juden agitierte und persönlich an Pogromen beteiligt war. Er starb 1456 nach siegreich absolvierter Türkenschlacht an Erschöpfung.

Sowas erfährt man im Café Kafka, wenn man wissen will, warum die Capistrangasse so heißt, wie sie heißt.

Ich ging jetzt weiter bergab, wo die Capistranstiege hinunter zur Fillgradergasse führt. Die Capistranstiege ist hübsch, wenn auch nicht so ein Bijou wie die nahe gelegene Fillgraderstiege, die dem Jugendstilfreund das Herz höherschlagen lässt – und mich jedes Mal amüsiert, wenn ich vorbeikomme, weil sich der Friseur, der gleich neben der Stiege sein Geschäft hat, „Stufenschnitt“ nennt. Er wird nur übertroffen vom Berufskollegen unten beim Naschmarkt, der „Fortschnitt“ heißt.

Ich schweife ab. Ich stieg die Capristranstiege hinunter, deren Anlage von Malern und Gärtnern in ein berauschendes Bunt getaucht wurde. Ich sah die junge Frau, die im Windschatten der Stiege saß und Selbstgedrehte rauchte, und war verwirrt: Sie war original so bunt angezogen, als wäre sie gerade aus einem der Gemälde gestiegen, die diese Stiege zieren.

Dann fiel mir der Herr im blauen Hemd auf, der die Stiege herunterkam, unten auf dem Absatz umdrehte, die 16 Stufen bis zur ersten Zwischenebene wieder hinaufeilte, wieder umkehrte, heruntereilte, umdrehte, hinaufstieg. Erst nach der fünften Wiederholung wurde mir klar, dass er offenbar gerade sein Work-out macht. Ich grüßte ihn freundlich, aber er hatte keine Zeit, zurückzugrüßen.

Demnächst komme ich wieder hierher. Ich will wissen, ob der Herr noch immer auf und ab geht.