Gedichte sind Lebenselixier
Von Barbara Reiter
Herr Hochmair, stört es Sie, wenn Menschen Ihr Name nicht geläufig ist, obwohl Sie ein Theater-Star sind?
Als Theaterschauspieler ist man eben nur einem kleinen Publikum bekannt, mit Film und Fernsehen erreicht man natürlich viel mehr Menschen. Trotzdem spiele ich leidenschaftlich gern Theater.
Die Erfolgsserie „Vorstadtweiber“ soll das ändern. Sie spielen den schwulen Politiker Joachim Schnitzler. Warum geben Sie so oft den Homosexuellen? Ich habe drei Mal gezählt.
Zwei Mal. Den Andreas im neuen Kinofilm „Kater“ von Händl Klaus und Joachim Schnitzler in den „Vorstadtweibern“. Wer ist der dritte?
Lange her. Mit 25 als Homosexueller Carl in Peter Zadeks Inszenierung von Sarah Kanes „Gesäubert“.
Ah, ja stimmt. Und im Film habe ich Golo Mann gespielt, der ist ja auch schwul. Aber wenn ich jetzt alle Rollen aufliste, sind eben auch vier Schwule dabei, mein Gott! Wir leben in einer Zeit, wo es auch ganz normal ist, schwul zu sein.
Ja, das war auch keine Kritik.
Ich finde es interessant, dass immer wieder danach gefragt wird. Auch die viel diskutierte Liebesszene mit Jürgen Maurer in den „Vorstadtweibern“. Komisch, dass das so viele Leute immer noch irritiert. Gleichgeschlechtliche Liebe sollte in unserer westlichen Welt doch etwas völlig Normales sein. Und trotzdem fürchtet Joachim Schnitzler wegen seiner Homosexualität in Österreich Wählerstimmen zu verlieren. Das ist sein großer Konflikt.
Viele nehmen wahrscheinlich an, dass es nicht einfach ist, mit einem Mann intim zu sein, wenn man es nicht gewohnt ist.
Für mich war die Herausforderung, diesen Widerspruch aus seinen privaten Sehnsüchten und seiner politischen Karriere darzustellen. Den Kampf, seine Homosexualität verstecken zu müssen. Und dieser Kampf wird in der Nähe und Liebe zu Georg im Gegensatz zu seinem öffentlichen Status gut sichtbar.
Die Herausforderung der nächsten Zeit könnte das Rampenlicht sein, in das Sie mit dem Fernsehen treten und das Sie als Theatermann noch nicht so erreicht hat. Scheuen Sie sich davor?
Wenn ich wie jetzt bei der Berlinale mit dem Film „Kater“, in dem es um eine homosexuelle Liebesbeziehung geht, plötzlich so ins Rampenlicht der Öffentlichkeit rutsche, ist das doch ein Privileg, für so besondere Themen so eine Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Liebe muss in allen Facetten lebbar sein dürfen. Wie weit da mein persönliches Leben für die Zuschauer eine Rolle spielt, kann ich nicht einschätzen.
Interessieren Sie sich denn selbst nicht auch für das Privatleben Prominenter?
Ich will schon wissen, wie andere kreative Menschen oder Künstler ihr Leben bestreiten. Die biografische Verschmelzung von Kunst und Leben von Lars von Trier oder Franz Kafka interessieren mich. Es ist auch mein Thema, die Grenzen zwischen einer Rolle und meinem persönlichen Leben auszutesten.
Ist das ein Grund, warum Sie zum Beispiel in der Verkleidung des Mephisto barfuß durch Avignon spaziert sind, obwohl der Auftritt längst vorbei war?
Ich bleibe gerne im Kostüm nach einer Vorstellung. Ich versuche zu spüren, wo das normale Leben aufhört und Theater und Film-Realität anfängt. Dafür mache ich diesen Beruf. Ich will mich selbst immer wieder in neuen Identitäten erfahren.
Sie tauchen sehr in Ihre Rollen ein. Da findet doch keine Abrenzung mehr statt.
In dem Moment, wo ich zum Beispiel Kafkas „Amerika“ spiele, bin ich ganz und gar Karl Rossmann. Für mich definiert sich also mein privates Sein über die Geschichte, die ich gerade auf der Bühne verkörpere. Das überträgt sich auch sehr auf meine Alltagsstimmung. Natürlich ist dieses Hin- und Hergeworfenwerden zwischen diesen Emotionen für mein Umfeld auch sehr anstrengend. Aber das ist Teil des Berufes.
Theaterspielen an sich klingt wahnsinnig anstrengend. Laugt es aus?
Nach einer Theateraufführung bin ich entweder total geschafft oder wahnsinnig euphorisch. Wenn man fünf Mal die Woche spielt, ist man permanent in einem Rausch und will gar nicht erst runterkommen. Im Theater ist man eben, viel mehr als im Film, eine Körper-Kampf-Maschine oder auch Sklave der Geschichten, die man verkörpert.
Hatten Sie jemals das Gefühl, sich für Ihren Beruf aufzuopfern?
Ich kann das Leben nur aushalten, weil ich diese Tätigkeit oder diesen Beruf ausübe. Für mich ist die Schauspielerei ein Weg, überhaupt mit mir und der Welt zurechtzukommen. Ich hatte ein Erlebnis in der Schule, wo ich im Unterricht auf den Tisch gesprungen bin und Goethes „Totentanz“ zitiert habe. Das war ein Schritt in eine Welt, in der ich mich plötzlich wohlgefühlt habe. Die Lehrerin hatte zuvor behauptet, keiner in der Klasse könne ein Gedicht auswendig. Als ich auf den Tisch gesprungen bin und diese Ballade zitiert habe, sind über das Läuten der Pausenglocke hinaus alle sitzen geblieben. Es blieb still, weil die Sprache so eine Gewalt hatte. In der Schule, in meinem Elternhaus, in meiner Alltagswelt war ich nicht ich selber, da habe ich mich falsch gefühlt. Aber dieser Sprung auf den Tisch, in diesen Goethe-Text hinein, hat mich gerettet. Das hat mir einen Ort gegeben, wo ich richtig war.
In einer Theaterzeitung stand, Sie hätten zu Ihren Eltern keinen Kontakt. Ist das nicht schade?
Ich habe heute ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Aber ich musste mich erst aus dieser bürgerlichen Welt befreien. Erst einmal begreifen, wie man mit sich und seinen Impulsen umgeht. Das ist, denke ich, für diesen Beruf ein ganz normaler Schritt. Ich musste auf Wanderschaft gehen, um zu begreifen, wie das alles funktioniert.
Wenn jemand ständig unterwegs ist, liebt er offenbar die Freiheit. Ist das der Grund, warum Sie nun nach sechs Jahren das Thalia-Theater in Hamburg verlassen haben, um freier Schauspieler zu sein?
Dieses Ortsgebundene war für mich sehr anstrengend. Ich habe vor kurzem in Lausanne am Théâtre Vidy meinen „Werther!“ auf Französisch rausgebracht. Das war eine sehr tolle Erfahrung. Ein festes Engagement lässt solche Ausflüge aber leider nicht zu. Das geht nur, wenn ich keine feste Bindung habe.
Im Widerspruch zu Ihrer Freiheitsliebe steht, dass Sie vielen Rollen über Jahrzehnte treu bleiben. Dem Werther, dem Jedermann ... Finden Sie auf diese Art und Weise doch noch Konstanz im Leben?
Ja das stimmt. Das gibt mir sozusagen ein Gehäuse oder ein Gerüst. Da habe ich eine Identität, mit der ich fliegen kann. Diese Heimat finde ich viel eher in einem Text, in einer Geschichte, einem Schauspiel als an einem Ort, in einem Haus oder in familiären Zusammenhängen.
Haben Sie als Freigeist denn keine Angst vor zu wenig Aufträgen?
Ich denke, das ist die große Frage und Angst aller freischaffenden künstlerischen Menschen, aber man muss lernen, damit umzugehen.
Sie waren auch Ensemblemitglied des Burgtheaters und wurden sogar in die Ehrengalerie aufgenommen. Das ist für die meisten Schauspieler ein Traum. Und Sie haben das einfach so aufgegeben?
Ich war sechs Jahre an der Burg und bin dann nach Hamburg gegangen, um mich da wieder aufs Neue herauszufordern. Jetzt muss ich mich von fast 14 Jahren Ensemble-Tätigkeit in Wien und Hamburg ein bisschen erholen, die Flügel strecken und wieder nach anderen Möglichkeiten suchen. Und da bietet die Welt der Vorstadtweiber einen interessanten Kosmos.
Lassen Sie uns noch kurz über Texte reden. Haben Sie als Schauspieler einen Tipp, wie man sich einer schwierigen Sprache, wie etwa der von Goethe, nähern kann?
Es ist Musik. Lesen sie laut, immer wieder. Lassen Sie die Kraft und die Bilder zu, die da drin stecken. Nehmen wir zum Beispiel „Die Zueignung“, eine Ballade von Goethe. Schließen Sie die Augen. „Der Morgen kam, es scheuchten seine Tritte, den leisen Schlaf, der mich gelind umfing. Dass ich, erwacht, aus meiner stillen Hütte, den Berg hinauf mit frischer Seele ging. Ich freute mich bei einem jeden Schritte, der neuen Blume, die voll Tropfen hing. Der junge Tag erhob sich mit Entzücken, und alles war erquickt, mich zu erquicken.“ Ist doch traumhaft schön, oder?
Wunderbar. Es klingt wirklich nach Musik.
Wenn ich so etwas höre oder lese, beginne ich zu träumen. Das ist die erste Strophe eines wunderbaren Gedichts. Ein Kurzfilm in brillante Sprache gegossen.
Wie lange brauchen Sie, um Texte zu lernen?
Das ist schon Arbeit und es braucht seine Zeit. Aber das ist eine sehr gute Investition. Da hat man noch lange was davon ...
Als Deutschlehrer würden Sie sich gut machen. Ihre Euphorie ist irgendwie ansteckend.
Ich habe vor einigen Tagen mein Schiller-Balladen-Projekt mit dem Schlagzeuger Fritz Rainer am Bodensee in Lindau aufgeführt. Das Ziel war, große Gedichte wie „Die Glocke“ oder „Die Bürgschaft“ so zu performen, dass man spüren kann, welche explosive Kraft da drinsteckt. Diese Gedichte sind Lebenselixier und haben nichts mit bildungsbürgerlichem Schulzwang zu tun.
Ihr Engagement für die Sprache ist beachtenswert. Haben Sie jemals einen Preis dafür bekommen?
Ich habe noch nie einen Preis gewonnen.
Das könnte sich bald ändern. Bei der KURIER-ROMY-Wahl 2016 sind Sie als beliebtester Schauspieler nominiert. Wie sehen Sie Ihre Chancen?
Ich rechne sehr damit, nicht zu gewinnen. Wenn es stimmt, dass derjenige gewinnt, der die meisten Klicks bekommt, kennen mich zu wenige, um für mich zu klicken.
Vielleicht ändert sich das nach dem Interview.
Das wäre natürlich schön.
Philipp Hochmair, 42, wurde 1973 in Wien geboren. Er ist der Sohn eines Ingenieurs und einer Ärztin, sein jüngerer Bruder ist ebenfalls Arzt. Ab 1993 studierte Hochmair am Max-Reinhardt-Seminar und war Meisterschüler von Klaus Maria Brandauer. Von 2003 bis 2009 war er Ensemble-Mitglied des Wiener Burgtheaters und wechselte dann ins Thalia Theater nach Hamburg, wo er bis 2015 Ensemble-Mitglied war. Um sich mehr dem Film zu widmen, arbeitet er nun freischaffend und ist ab 14. März wieder in der Serie „Vorstadtweiber“ als schwuler Politiker zu sehen. Hochmair ist auch weiterhin mit seinen Soloprojekten „Goethes Werther!“, „Jedermann Performance “ sowie „Der Prozess“ und „Amerika“ von Franz Kafka on Tour.