Leben

Felix Gottwald über Disziplin

freizeit: Felix, du bist so schlank. Dein Karriere-Ende liegt fast drei Jahre zurück. Hattest du nach einem Leben als Spitzensportler nicht genug von Disziplin und Konsequenz?

Felix Gottwald: Ich persönlich finde gar nicht, dass ich so diszipliniert und konsequent bin. Für mich ist es normal, bewusst zu leben. Denn wenn ich mich gesund ernähre, mich bewege und mir Zeit für Stille nehme, steigert das ja meine Lebensqualität.

Alle Sachen, die du da nennst, lassen sich ohne Disziplin aber nicht umsetzen.

Mein Trick ist, dass ich das alles nur an einem einzigen Tag tue: Immer heute. Morgen ist dann ein neues Heute. So bleibt alles überschau- und machbar. Denn ich bin nur heute Früh um sechs Uhr aufgestanden, um zu meditieren.

Hat diese Methode nicht Grenzen? Wenn ich mir vornehme, heute keine Weihnachtskekse zu essen, habe ich morgen sicher Lust auf die doppelte Portion.

Ich zum Beispiel habe immer wahnsinnig gerne Schokolade gegessen. Das ist mir eines Tages zu blöd geworden. Und so habe ich am Ostermontag 2010, nach einem Wochenende mit vielen Schokohasen beschlossen, heute auf Schokolade zu verzichten. Nur für diesen einen Tag. Ich bin bis heute dabei geblieben. Mit der Reduktion auf die kleinstmögliche Zelle bin ich immer gut gefahren.

Das sind 1.340 Tage. Undenkbar.

Wenn ich mir damals gedacht hätte, dass ich bis zum 14. Dezember 2013 keine Schokolade mehr essen werde, wäre dieses Vorhaben nie geglückt. Ich kann es nur wiederholen: Immer nur einen Tag denken. Während ich diese Geschichte erzähle, stehen die Chancen gut, dass ich heute wieder keine Schoko esse.

Bleibt die Frage, warum man dauerhaft auf etwas verzichten soll, das schmeckt. Außerdem macht Schokolade glücklich.

Das tun Luft und Liebe auch. Der Punkt ist einfach, dass ich mit Schokolade mittlerweile nichts Geniales mehr verbinde. Meine Hormone zucken nicht mehr aus. Damit fällt der Heißhunger weg und ich muss mir nach dem Essen nichts mehr Süßes nachschießen.

Das Asketische liegt dir offenbar im Blut.

Ich sage ja nicht, dass ich mir nie etwas gönne. Ich esse gerne und trinke auch einmal ein Glas Wein oder ein Bier. Wenn, dann aber bewusst. Ich esse zum Beispiel nicht im Stehen. Und wenn ich auf Veranstaltungen bin, habe ich vorher schon gegessen. Außerdem schmeckt es mir besser, wenn ich mich davor bewegt habe.

Oje, die Bewegung. Hast du als Österreichs erfolgreichster Olympionike einen Tipp, wie man den inneren Schweinehund überwindet?

Man geht her und bewegt sich einfach.

Und wenn es draußen schneit?

Das ist die billigste Ausrede. Es gibt heutzutage tolle Funktionswäsche. Und wenn bei mir die Frage auftaucht, ob ich laufen gehen soll oder nicht, ist das für mich ein klares Signal, nicht mit mir zu diskutieren. Ich ziehe mich einfach um und gehe.

Was machen die Menschen, die trotzdem mit sich zu diskutieren anfangen?

Die stellen sich vor, wie sie sich nach dem Sport fühlen. Das Umziehen ist ja meistens das Mühsamste. Bei mir läuft währenddessen ein Film im Kopf ab: Wie ich weglaufe, die Natur erlebe und mich fühle, wenn ich nach dem Sport frisch geduscht bin. Kein Mensch kann mir erzählen, dass er dieses Gefühl gegen die Möglichkeit eintauscht, mit einem Packerl Chips auf der Couch zu sitzen.

Du arbeitest seit 2011 als Mentaltrainer und hältst Seminare in der Therme Loipersdorf. Wie bringst du den Teilnehmern dort das Thema Disziplin näher?

Ich sage den Teilnehmern immer, dass es bei Disziplin auch darum geht, die eigene Komfortzone zu verlassen und erzähle gerne die Geschichte von meinem ehemaligen Sprungtrainer. Er hat uns damals Disziplin beigebracht, indem er gefordert hat, dass wir Dinge ausprobieren, bevor wir sie beurteilen. Einmal hat er uns gebeten, im Langlauf-Anzug Ski zu springen. Dazu muss man wissen, dass das eigentlich nur mit dem Skisprung-Anzug möglich ist, weil er wie ein Fluggerät wirkt. Wir konnten uns das also absolut nicht vorstellen. Dann haben wir gemerkt, dass es geht, wenn wir den Sprung richtig ausbalancieren. Danach haben wir uns auf der Schanze viel leichter getan.

Würdest du deine Tipps als leicht umsetzbar beschreiben?

Mir ist es sehr wichtig, dass meine Erfahrungen aus dem Sport alltagstauglich sind. Ich bin draufgekommen, dass die effektivsten Dinge meistens die einfachsten sind. Da gibt es nichts Kompliziertes. Nehmen wir den Atem. Den haben wir immer bei uns. Und wenn es wieder einmal laut und hektisch wird, dann atme ich einfach bewusst ein und aus. Danach bin ich wieder präsent. Den Luxus der Stille nehme ich mir seit 18 Jahren regelmäßig und meditiere in der Früh.

Du wirst im Jänner zum ersten Mal Vater. Wirst du dir den Luxus der Stille dann noch leisten können?

Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Was ich weiß, ist, dass der Mensch das Bedürfnis nach Abwechslung und Veränderung hat. Ein Kind zu bekommen, ist wohl die positivste Art der Veränderung. Mir ist klar, dass ich weiter auf mich schauen muss, wenn ich gut für mein Kind sorgen will. Die Erfahrung, die ich bisher mit Kindern gemacht habe, ist, dass sie dir nicht verzeihen, wenn du nicht präsent bist. Vielleicht ist die Beschäftigung mit ihnen schon Meditation genug. Ich lasse mich überraschen.

Wirst du bei der Geburt dabei sein?

Unbedingt. Mir ist es ja ein Rätsel, wie es früher einmal verpönt sein konnte, als Mann mit dem Kinderwagen spazieren zu gehen. Ich gehe auch mit zum Frauenarzt. Ein Kind ist ja keine One-Woman-Show, sondern ein Gemeinschaftsprojekt.

Ausgeglichen wie du wirkst, scheinst du für die Vaterrolle gut gerüstet zu sein. Mentaltraining wirkt offenbar. Wie bist du eigentlich dazu gekommen?

Mein allererster Kontakt damit war über Baldur Preiml (Anm.: ein ehemaliger Skispringer und Trainer). Das ist auch der Grund, warum ich jetzt in Loipersdorf bin. Er hat hier seine Fußstapfen hinterlassen. Er hat vor 30 Jahren schon zu den Menschen gesagt: „Schaut’s auf das, was ihr esst’s, schaut’s, dass ihr euch bewegt’s und schaut’s auf eure Seele. Schon damals war alles viel zu laut und schnell. Obwohl noch niemand wusste, was ein Handy oder eine E-Mail ist und ein Brief oft zwei Wochen gebraucht hat, bis er angekommen ist. Das Thema ist zeitgemäßer denn je.

Hattest du damals das Gefühl, nicht in Balance zu sein?

Ich war 1995 schon Sportler und dauernd krank. Ich konnte mein Training nie umsetzen, weil ich es im Krankenbett mit einer Lungenentzündung oder eine Bronchitis verplempert habe. Da ist mir gedämmert: Sport ist mehr als Training. Ich wollte einfach gesund werden und habe deshalb mit Qigong begonnen. Das war der Einstieg, in jenem Bereich zu arbeiten, den wir nicht sehen und angreifen können, der für mich aber Wohlbefinden und Lebensqualität bedeutet.

Das ist offenbar auch das Ziel deiner Seminare. Was lernt man dort genau?

Sich selber wieder besser zu spüren und sich Dinge bewusst zu machen. Ich erkläre es dir am besten mit den „Drei Fragen des Kaisers“, die auf einer Geschichte von Leo Tolstoi basieren. Frage eins: Wann ist der wichtigste Zeitpunkt?

Das ist leicht. Jetzt.

Ja, genau. Es hat keinen Sinn, in der Zukunft oder der Vergangenheit zu leben. Das Entscheidende ist, im Hier und Jetzt und damit präsent zu sein.

Bei der Millionenshow hätte ich jetzt schon 100 Euro gewonnen. Weiter.

"Wenn bei mir die Frage auftaucht, ob ich laufen gehen soll oder nicht, ist das für mich ein klares Signal, nicht mit mir zu diskutieren. Ich ziehe mich einfach um und gehe."

Felix Gottwald

Hier gewinnst du Lebensweisheit. Frage zwei: Wer ist der wichtigste Mensch?

Hmmmm. Ich?

Und ich dachte schon, dass es Egoisten nur im Spitzensport gibt. Spaß beiseite. Fast alle Seminarteilnehmer beantworten die Frage so. Das stimmt aber nur zum Teil. Wenn du alleine bist, bist du der wichtigste Mensch. Sonst ist es der, der dir gerade gegenüber sitzt. Angenommen, du gehst in den Supermarkt, kaufst dir eine Käsesemmel und nimmst die Frau, die sie dir macht, als wichtigsten Menschen wahr. Was glaubst du, was für eine gute Käsesemmel das wird. Das beste Ergebnis erzielt man immer dann, wenn Begegnung stattfindet.

Und Frage drei?

Was ist die wichtigste Sache, die es zu tun gibt?

Essen und schlafen?

Das natürlich auch. Dazu kommt aber noch, die Dinge, die man tut, mit Liebe zu machen. Egal, ob man den Geschirrspüler ausräumt, Fenster putzt oder als Journalistin arbeitet.

Und wie räumt man bitteschön einen Geschirrspüler mit Liebe aus?

Indem man sich vielleicht darüber freut, dass man überhaupt so schönes Geschirr hat. Grundsätzlich will ich damit nur eines sagen: Wenn du präsent bist, fällt dir auf, wer dein Gegenüber ist. Und wenn du dir dann noch bewusst machst, was du gerade tust, ist alles gut. dann bist du gut aufgestellt fürs Leben. Mehr ist es nicht. Ich sag’s ja. Am effektivsten sind die einfachen Dinge.

www.felixgottwald.at

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