Leben

Es muss nicht immer supergeil sein

Herr Liechtenstein, ...

Friedrich ...

Friedrich, welche Gefühle kommen bei Ihnen hoch, wenn Sie das Wort „Supergeil“ hören?

Das ist ganz ambivalent. Ich habe manchmal Spaß daran, wenn zum Beispiel Kinder mir ihr Handy hinhalten und ich ihnen ins Mikrofon sage: „Du bist sehr, sehr geil.“ Oft sag’ ich auch: „Du bist ein toller Typ.“ Es muss ja nicht immer supergeil sein. Ich lobe die Leute schon sehr gerne, aber manchmal mag ich das auch gar nicht.

In welchen Situationen?

Bei den Leuten, die einen so ein bisschen überrumpeln oder distanzlos sind. Oder wenn ich bei einem Interview gleich auf die Edeka-Nummer angesprochen werde (Anm.: das ist die Supermarktkette, die Liechtenstein mit der „Supergeil“-Werbung berühmt machte). Dann weiß ich, aus der Nummer komme ich nicht mehr raus, also werde ich die ganze Zeit über Edeka reden. Aber das ist egal. Es ist halt ambivalent.

Keine Angst, wir werden über viele andere Dinge sprechen. Aber „Supergeil“ ist schon einige Zeit her. So erinnern sich die Leute besser.

Kein Thema, ich profitiere ja auch davon. Wenn ich nicht Künstler, sondern Kellner wäre, würde ich heute wohl kaum noch interviewt werden. So ist das ein Vorteil für Edeka und mich. Wir bleiben im Gespräch. Ich habe ja auch Platten, Filme und Bücher rausgebracht. Da gibt es immer was zu erzählen.

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Das haben Sie auch in Ihrer Biografie „Super. Mein Leben“ gemacht. Würden Sie sagen, Ihr Leben ist auf 288 Seiten gut abgebildet?

Man könnte noch einmal vier solche Bücher schreiben und es würde etwas ganz anderes drinnen stehen – was aber auch stattgefunden hat. Manche überfordert die Fülle an Informationen aber.

Ihr Leben war in der Tat sehr bunt. Sie sind Sänger, waren Puppenspieler und haben viele interessante Kunstprojekte gemacht. Um eines zu nennen: In Ihrem „Mittagsschlafsaal“ konnte man für ein paar Euro Mittagsschlaf halten. Trotzdem schreiben Sie in Ihrer Bio, dass Sie kaum Geld mit Ihrer Kunst verdient haben.

Das klingt so, als wäre ich die ganze Zeit arm gewesen. Ich hatte schon eine gute Zeit und habe immer wieder tolle Sachen gemacht. Aber das Geld hat eben nie so richtig gereicht. Von 2002 bis 2012 war es dann eine wirklich schlimme Phase. Als würde der liebe Gott einen prüfen wollen. Es kam nichts rein und ich dachte mir anfangs: Okay, ein schlechtes Jahr kann man ja mal haben.

Dann wurden zehn daraus.

Es kam noch eins und noch eins. Ich dachte, das war es jetzt. Ich habe damals in meinem Schmuckeremitenzimmer gelebt, bin dort auf meinem Bett gelegen und musste sogar lachen, weil alles so schlecht lief. Ich hatte keinen Groll aufs Leben.

Sie waren in Berlin Teil der Szene, kannten einflussreiche Leute. Hilft das in Momenten des finanziellen Stillstands nicht?

Das bringt einen ja auch nicht weiter. Das habe ich tatsächlich gelernt. Wenn man anfängt, sich Geld auszuleihen, führt das zu Abhängigkeit und ins Desaster. Man muss richtig hart aufschlagen, dann baut sich wieder was auf. Ich hatte immer großes Selbstvertrauen und dachte mir: Egal, wie schlimm es kommt, am Ende geht alles gut aus. Ich führe diese Haltung darauf zurück, dass ich per Kaiserschnitt auf die Welt gekommen bin. Die Umstände der Geburt waren schwierig, aber es ist gut ausgegangen.

Es heißt oft, man lernt in Krisenzeiten am meisten. Stimmen Sie dem zu?

Die Krisenzeit hätte kürzer sein können. Ich hatte schon eine Art Depression, ausgelöst durch Liebeskummer. Es kam alles zusammen. Aber der Punkt war, dass ich weiterarbeiten konnte. Ich zehre heute noch von den Sachen, die ich mir damals ausgedacht habe. Ich hatte auch eine gute Grundausstattung – Freunde, meine Kinder und gute Anzüge vom Ex-Schwiegervater. Dadurch war ich nicht so verloren wie vielleicht andere Väter, die sich scheiden lassen und wo die Kinder bei der Mutter bleiben.

Den Schmuckeremiten von vorhin müssen wir erklären. Sie haben in einem Zimmer oberhalb eines Brillengeschäfts gelebt und standen dem Besitzer dafür als Werbefigur zur Verfügung. Sie haben auch davor oft nur in Zimmern gelebt. Hatten Sie denn gar keine Sehnsucht nach der eigenen Wohnung?

Ich weiß doch, wie sich das anfühlt. Ich hatte ein großes Haus und eine große Wohnung. Aber das macht so viel Arbeit, da alles hin und her zu tragen. ich bin froh, dass ich die vergangenen Jahre gelernt habe, dass ich gar nicht so viel brauche. Mein Luxus ist eher Reisen, Klamotten, Essen und Urlaub machen. Dafür gebe ich mein Geld aus.

Wo leben Sie jetzt?

Das ist eine Art Hotel, aber ein großes Zimmer. Ich habe kein einziges Möbelstück oder Geschirr reingetragen. Das war komplett ausgestattet. Ich bin da rein in Zeiten, wo ich ganz viel zu tun hatte, habe dort meine Klamotten in den Schrank gehängt und das war’s. Ich habe also weiter nach wie vor nix und könnte jederzeit meine zwei großen Koffer schnappen und woanders wohnen. Ich reise nach wie vor mit leichtem Gepäck.

Und die Altersvorsorge? Machen Sie sich darüber keine Gedanken?

Ich bin da ganz entspannt und glaube, dass andere Sachen wichtiger sind. Man sollte auf seine Gesundheit und Vitalität achten. Künstler haben ja das Glück, dass Sie bis zum Tod arbeiten können. Und wenn man gute Umstände hat, wie eine nette Frau und nette Kinder, kommt man auch mit weniger Geld aus. Wenn man sich gut fühlt, reicht ein kleiner Raum. Verliebten zum Beispiel, genügt ne Pritsche, ein kleiner Herd und ein Stuhl. Man müsste es hinkriegen, bis ins hohe Alter im Zustand der Verliebtheit zu bleiben. Dann braucht man nicht viel.

Die Wissenschaft sagt aber, dass dieser Zustand nur ein halbes Jahr anhält. Sind Sie verliebt derzeit?

Grad nicht, aber das ist nicht schlimm. Ich habe mir nie vorstellen können, alleine zu sein, weil ich ein Familienmensch bin. Aber durch den ganzen Hype, die Aufregung und die viele Arbeit finde ich es mal ganz spannend, alleine zu sein. Außerdem muss ich ja jetzt ein bisschen meine Jugend nachholen.

Mit 60?

Ich habe mit 18 geheiratet und drei Kinder gekriegt. Da hatte ich Kinderzeit und habe viel fürs Theater gemacht. Da konnte ich nicht viel feiern. Jetzt, wo ich ständig unterwegs bin, hole ich das nach.

Heutzutage werden viele Paare erst spät Eltern. Gut oder schlecht?

Jeder soll machen, wie er mag. Aber ich kann empfehlen, jung Kinder zu kriegen, am besten während des Studiums. Dann geht man in die Karriere, wenn die Kinder zwei, drei Jahre alt sind. Man hat nie mehr so viel Zeit und Kraft wie während des Studiums. Und man braucht Kraft für Kinder. Viele Mütter in Berlin sind um die 40, die Väter 50. Da denke ich mir oft: Oh mein Gott, was die sich vorgenommen haben und leisten.

Sie hatten also nie das Gefühl, was verpasst zu haben?

Wenn man an den Kneipentisch zurückkommt, den man drei Jahre vorher verlassen hat, werden noch immer dieselben Themen besprochen. Man versäumt gar nichts. Und als Draufgabe hat man ein Kind, das laufen und sprechen kann.

Friedrich, Sie haben noch ein zweites Buch veröffentlicht, das „Selfie Man“ heißt. Worum geht es da?

Das ist ein Buch mit Gedanken von mir und leeren Zeilen, um selbst was dazuzuschreiben. Wie ’ne Art Tagebuch.

Führen Sie denn Tagebuch?

Nicht mehr, früher als Kind. Auf den ersten Seiten in meinem Tagebuch stand drinnen, dass Algen in Zukunft eine große Rolle spielen werden und es keinen Hunger mehr geben wird auf der Welt. Da war ich neun, zehn. Damals hat mich dieses Thema schon umgetrieben.

Sie erwähnen die Algen fast in jedem Interview.

Weil das Thema faszinierend ist. Algen sind schnellwachsend und man kann sich ganz viel abgucken. Es gibt Fasern aus Algen, man kann Strom aus Algen herstellen oder Straßenbelag. In Wien gibt es eine Algenbrause namens Helga. Nicht so süß wie Bionade und mit mineralischen Spurenelementen drinnen. Die sind gut für den Körper. Ich bin Entertainer, deshalb erzähle ich diese Geschichten. Denken Sie ans Autoquartett. Da wäre die Algenkarte die Alleskönnerkarte. Sie war zuerst da, hat den Sauerstoff auf die Welt gebracht, wächst im tiefen Eis, ...

... Friedrich Liechtenstein referiert zehn Minuten über Algen ...

Es gibt auch Algen, die vergessen. Die können sich plötzlich umstellen, anders ernähren und fortpflanzen. Dieses radikale Vergessen ist auch interessant ...

Äh, Friedrich, wir müssen ...

Auf die Algen dürfen Sie mich nicht ansprechen. Das ist schlimm bei mir. Das Thema nimmt dann kein Ende mehr.

Lassen Sie uns noch über die glücklichste Zeit Ihres Lebens reden.

Das war definitiv, als ich sieben war. Das war meine Primetime. Ich habe meine Kindheit als sehr gut empfunden.

Und der Megaerfolg mit „Supergeil“?

Das war doch auch eine glückliche Zeit. Mit sieben war’s schöner. Das war ein Einssein mit der Welt und der Natur. Ich bin viel getaucht, war in der Musikschule, hatte eine Wissensexplosion. Und ich war unschuldig. Das war auch ein sehr, sehr guter Zustand.

Sind Sie denn im Moment so gar nicht glücklich?

Es geht noch mehr. Ich war schon glücklicher, nicht nur als Siebenjähriger. Ich bin eigentlich getrieben. Damals, als ich meine zweite Frau kennengelernt habe, war das eine Glücksexplosion. Durch die Verliebtheit hatte ich plötzlich Kräfte, mit denen ich nie gerechnet hätte. Da habe ich mein ganzes Leben umgestülpt. So wird es sein, wenn ich wieder verliebt bin. Vielleicht kommt das Glück nochmals angerannt, oder auch nicht. Das weiß keiner. Manchmal erkennt man das Glück erst im Nachhinein und denkt sich: „Scheiße, da war ich eigentlich glücklich.“

Das klingt melancholisch.

Ich habe schon eine gewisse Grundheiterkeit, aber im gleichen Sinne auch eine große Melancholie. Es ist beides, aber ich bin in Frieden damit.

Der Wechsel zwischen Heiterkeit und Melancholie ist anstrengend. Aber die Alternative wäre eine Flatline und das ist dann auch nichts.

Ist blöd, nicht?

Saublöd. Reden wir lieber von Ihrer Auftragslage. Ist die erheiternd?

Ja sehr. Ich schaffe es leider nicht, mein Leben derzeit ruhiger zu gestalten, weil ich immer Angst habe, dass es abflaut. Ich sage zu sehr vielen Sachen ja. Deshalb habe ich einen so vollen Kalender.

Ich habe gelesen, dass Sie gerne flanieren. Haben Sie dazu denn noch Zeit?

Leider nicht mehr. Ich warte auf den Moment, in dem alles, was ich mir ausgedacht habe, realisiert ist. Dann muss ich gucken, wie ich wieder auftanken kann. Aber ich finde alles gut. Ich bin ausgeruht und fühle mich auch im Musikgeschäft frisch. Hätte ich Musik gemacht, seit ich 20 bin, wäre ich vielleicht komisch drauf. So fahre ich gerne zu Konzerten. Es ist anstrengend, aber es macht mir Spaß.

Am 19. Mai spielen Sie im Theater Akzent in Wien mit dem Friedrich Liechtenstein Trio. Mögen Sie Wien?

Darauf freue ich mich sehr. Wien, ist großartig! Aber ich habe ein bisschen das Gefühl, ich darf Wien nicht zu sehr loben. Dann klappt das nämlich nicht. Ist doch bei Frauen auch so. Wenn man die zu sehr vergöttert, entziehen die sich einem. Also sag’ ich lieber. Wien ist okay.

Und wie war das Interview?

Lieb.

Hm, ich dachte eher an supergeil.

Ach so! Es war sehr geil. Ein unglaublich geiles Interview! So was habe ich überhaupt noch nie erlebt. Wahnsinn!

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Friedrich Liechtenstein, 60, wurde 1956 in der DDR geboren. Damals hieß er Hans-Holger Friedrich und arbeitete als Puppenspieler, Theaterregisseur und Schauspieler. Er machte sich mit Kunstprojekten wie dem Mittagsschlafsaal oder der Carmen Miranda Revue einen Namen. Der große Geldsegen blieb aber aus. Nach seiner zweiten Ehe gab Friedrich sein Bankkonto und seinen festen Wohnsitz auf und lebte als Teil der Berliner Kunstszene von Tag zu Tag. 2002 wagte er als Sänger Friedrich Liechtenstein einen Neustart, hatte aber erst ab 2013 Erfolg. Der von ihm interpretierte Song „Supergeil“ wurde 2014 weltweit ein Internet-Hit, nachdem eine Supermarktkette ihn als Testimonial engagiert hatte. Seither tourt Liechtenstein mit seinem Trio durch die Lande. Er war zwei Mal verheiratet und hat drei Kinder.
Derzeit ist er Single und will sich nochmals verlieben.

Den Star live erleben: Friedrich Liechtenstein ist mit seinem Trio und jeder Menge Songs im Gepäck am 19. Mai um 19:30 im Theater Akzent in Wien zu Gast.

Karten unter: www.akzent.at

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