Eiszeit: Die Reportage
Von Eva Gogala
Es sieht so mühelos und leicht aus, wenn Inge Eschig über das Eis gleitet. Ihre Wangen sind rosig von der kalten Luft, sie wiegt und dreht sich zum Rhythmus des Walzers, der über den Platz tönt. „Man muss total in der Achse sein. Der Ursprung des Lebens ist schwingen. Dabei empfinde ich eine so tiefe Lebensfreude“, sagt sie und breitet die Arme aus. Wenn man ihr zusieht, glaubt man es ihr. Inge Eschig, die sich als „Tanzphilosophin“ den Namen Indi Mo gegeben hat, kommt fünf Mal pro Woche hierher, in den Wiener Eislaufverein. Sie gehört zur eingeschworenen Gemeinschaft der Eistänzer, die einander zu fixen Zeiten treffen und für die in der Mitte des Platzes mit Holzstehern und Seilen ein Rondeau freigehalten wird. Statt ins Kaffeehaus eben auf den Eislaufplatz. Dort gleiten die Paare, scheinbar ohne sich anzustrengen, über das Eis. Während „ihrer“ Stunden wird auch besondere Musik für sie gespielt. Nicht Disco, nicht Schlager, sondern Walzer, Marsch, langsamer Walzer und Tango. Meist in dieser Abfolge.
Inge Eschig, die fünffache Großmutter, ist im 70. Lebensjahr und liegt damit bei den Eistänzern vermutlich im Altersdurchschnitt. „Ich freue mich, dass ich so beweglich bin.“
Nach einer Stunde ist Generationswechsel. Die Absperrung wird weggeräumt, die gesamte Eisfläche ist offen für alle, aus den Lautsprechern dröhnt Discomusik statt Walzer. Doch zuvor das Ritual, das seit Jahrzehnten für das jugendliche Publikum des Platzes zu den Höhepunkten zählt: Die Eismaschine dreht ihre Runden. Das klobige Gefährt bewegt sich langsam in konzentrischen Kreisen von außen nach innen über das Eis. Alle Rillen, die die Schlittschuhläufer verursacht haben, werden geglättet, die Schneehäufchen verschwinden, zurück bleibt ein feucht glänzender Streifen blitzblankes Eis. Und eine begeisterte Meute, die hinter der Eismaschine herfährt, um „Erster“ auf dem frischen Eis zu sein. Stets unter den wachsamen Augen des Ordners im leuchtend-roten Overall, der die johlende Menge mit seinem Trillerpfeiferl – einem echten englischen Schiedsrichterpfeiferl – in Schach und sicherem Abstand von der Maschine hält.
„Ja , das war schon immer so, dass die Maschine die Kinder magisch angezogen hat“, lächelt Farzam Rossoukhi. Der Generalsekretär des Eislaufvereins ist seit gut 30 Jahren am Platz und kennt fast alle Besucher persönlich. „Dabei ist das Eis erst zehn Minuten, nachdem die Maschine gefahren ist, am besten.“
Der Mann, der die Maschine steuert und verantwortlich für die Qualität des Eises ist, heißt Zoltan Puss. Der gebürtige Slowake ist, wie die meisten, die hier arbeiten, kein Frischgfangter mehr. Nicht mehr als fünf bis sechs Zentimeter dick und schön trocken soll das Eis sein. „Zu warm und zu windig, das mag ich am wenigsten“, sagt der ausgebildete Mechaniker. Denn da wird es schwierig, gutes Eis zu machen. Der Wind bläst den Kältepolster, der sich über der Eisoberfläche bildet, weg. Dafür, dass auch bei zweistelligen Plusgraden nicht alles wegschmilzt, sorgen 240 Kilometer Rohre, gefüllt mit Ammoniak, die sich unter dem Boden schlängeln. In Zoltan Puss’ Maschinenraum rattern die Kompressoren und machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Die verdichten den Ammoniak, ehe er hinausgepumpt wird, verdampft und so der Umgebung Wärme entzieht. Ein geschlossener Kreislauf. Auch im Sommer. Dann werden vom Eislaufverein aus die Klimaanlagen des Konzerthauses auf der einen und des Hotels Intercont auf der anderen Seite gespeist.
Das Einvernehmen mit den Nachbarn ist also gut. „Noch nie hat sich jemand über die Musik oder über Lärm beschwert“, sagt Rossoukhi. Der Eislaufverein ist sein Leben, seit den 1980er-Jahren. Damals lernte er seine Frau, die Eiskunstläuferin Evelyn Schneider kennen und lieben, die auf dem Platz auch das Sportgeschäft betrieb und später das junge Talent Claudia Kristofics-Binder trainierte.
Die ehrgeizigen Eiskunstlaufmuttis mit ihren Töchtern, die früher hier Tag für Tag und Stunde um Stunde bei jedem Wetter an der Konzerthausfront des Platzes trainierten, von weniger geschickten Eisprinzessinnen bewundert und gleichzeitig bedauert, sucht man heute vergebens. „Die gehen mittlerweile in die Halle“, weiß Rossoukhi. „Seit die ISU, die International Skating Union vorschreibt, dass auch die Bewerbe nur noch in der Halle stattfinden dürfen.“ Also keine Nachwuchs-Trixi Schubas und Emmerich Danzers mehr beim Eislaufverein.
Es gibt zwar eine kleine, gut versteckte Halle, gleich neben dem Buffet, die kaum einer kennt, doch die dient meist den Eishockeyspielern als Quartier. Hinter einer dicken, zerkratzten Plexiglaswand dreschen sie den Puck übers Eis, dass einem Hören und Sehen vergeht. Und der Platz beim Konzerthaus, wo einst Mädchen mit kurzen Röckchen und Haarbändern Pirouetten drehten und erste, zaghafte Sprünge wagten, heißt jetzt „Arena“ und ist Treffpunkt der wilden Kerle des Eislaufvereins, der Hockeyspieler. Ex-Sportler wie Tennis-Ass Alex Antonitsch oder das ewige Slalomtalent Rainer Schönfelder toben sich allwöchentlich Freitagmittag hier aus, gemeinsam mit dem einen oder anderen Büromenschen, der hier seine Arbeitswoche ausklingen lässt. „Ein Traum, der Platz“, sagt Antonitsch. Es sei zwar nur „eine Juxpartie“, dennoch sind die Herren gut ausgerüstet. Ausgepolstert, mit Beinschutz, Helm, manche mit Zahnschutz und der Goalie mit Gitter, das sein Gesicht schützt. Dass es hier zur Sache geht, lässt sich an Antonitsch’ Leiberl ablesen. Die Blutspuren zeugen von heftigen Begegnungen mit Puck oder Schläger. Immerhin gibt es nach erfolgreichem Match ein Bier als Belohnung.
Ein beliebter Treffpunkt ist der Platz des 1867 gegründeten Eislaufvereins jedenfalls. Und nicht nur für den Adel wie in den Gründungsjahren, als das Wasser für den Eislaufplatz aus dem Wiener Neustädter Kanal gepumpt wurde, die Garderobe in Zelten untergebracht und man sich im „Gartensalettl“ oder im „Hofsalon ausrasten und die kalten Hände an offenen Feuerstellen aufwärmen konnte.
Schon in den Anfängen war der Platz verkehrstechnisch günstig gelegen: Er erstreckte sich, lang ehe das Hotel Intercont in den 1960ern gebaut wurde, bis nach vorne zur Stadtbahnstation. Viele Jahre war der WEV-Platz mit 10.000 Quadratmetern die größte Kunsteisbahn der Welt.
Ein Mikrokosmos ist dieser Platz immer noch. Und einer, an dem manches sich nicht zu verändern scheint. Da sind die jungen Männer, die alle Blicke auf sich ziehen. Nicolas, 20 und Kevin, 17, sind seit zwölf Jahren Freunde und haben einen Plan: Sie bleiben von Mittag bis zur Sperrstunde um 21 Uhr und zeigen ihre Kunststücke – Drehungen, um die eigene Achse mit der Hand auf dem Eis und Abschwingen, dass eine meterhohe Schneefontäne aufsteigt. Am liebsten tun sie das, wenn möglichst viele Mädchen auf den Bankerln neben der Eisfläche sitzen und kichernd zuschauen. Zum Beispiel Maria, Salma, Marva, Esra, Alexandra und Hera aus dem Brigittenauer Gymnasium, die hier ihre Nachmittagsturnstunde absolvieren. 15, 16 Jahre sind sie alt, manche tragen Kopftuch. „Eislaufen macht Spaß und man fühlt sich frei“, sagen sie. Mit ihnen haben die Ordner nicht viel Arbeit.
Brav drehen sie ihre Runden gegen den Uhrzeigersinn. Immer in dieselbe Richtung. Die Platzordnung will es so: „Mit der linken Schulter zur Platzmitte“, heißt es darin. Hält sich jemand nicht daran, kommt das Trillerpfeiferl zum Einsatz. Auch Erste Hilfe muss heute keiner der Ordner leisten. Keine Platzwunden oder blutigen Finger. An manchen Tagen ist das anders. „An einem der letzten Feiertage mussten wir vier Mal die Rettung rufen“, sagt Farzam Rossoukhi. Darauf, dass nichts passiert, achten in der „Übungsbox“ Lehrerin Gabi Radakovits und eine Mutter, die mit den Kindern aus der Volksschule Eslarngasse hier sind. Ein sicheres Eck, in dem die Kleinen vor den „wilden“ Großen geschützt sind und von denen hier viele ihre ersten Schritte auf dem Eis machen. Doch sie lernen rasch. Tim fällt zwar noch einige Male hin, „aber ich kann schon alleine aufstehen. Oder Lea, die kaum noch stürzt. „Jetzt lerne ich, schmal zu fahren.“ Auf die Schönheit kommt es an.
Der Nachwuchs ist jedenfalls schon da. Das gibt auch Hoffnung, dass immer wieder Eistänzer nachkommen, die den Jungen zeigen können, wie einfach Eislaufen ist. Immerhin steht jetzt fest, dass trotz vieler Umbaupläne für das Areal an der Lothringerstraße auf dem Eis alles beim Alten bleibt. Der Verein hat jedenfalls eine Bestandsgarantie bis 2058.
Nur eines ist schon anders geworden: Seit statt der schönen, alten Email-Lampen moderne Straßenleuchten den Platz erhellen, klatscht keiner mehr, wenn am Nachmittag das Licht aufgedreht wird. Schade.
Otto Schenk: Der Schauspieler ist leidenschaftlicher Eisläufer und Ehrenpräsident des WEV. Im Gespräch mit Elisabeth Rehse-Holzer vom WEV erklärt er gemeinsam mit Toni Müller (Präsident des WEV), warum. Anlass ist das 100-jährige Bestehen der Kunsteisbahn im Jahr 2012.