Leben

Dr. Ich

Kopfschmerzen, Schlafstörungen, ein Jucken auf der Hand? Das Internet hilft. Wir stellen einfach selbst die Diagnose. Und der Hausarzt wird entlastet. Die Zukunft der Medizin? Jeder Dritte hat bei Gesundheitsproblemen schon einmal im World Wide Web recherchiert. Und immer mehr Menschen nutzen regelmäßig Medizin-Apps. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Zahl dieser medizinischen Internet-Helfer auf mehr als 100.000 verdoppelt. Ende dieses Jahres werden bereits rund 500 Millionen Menschen mApps nutzen. Und bis 2017 haben rund 3,4 Milliarden Menschen Smartphones – jeder Zweite von ihnen wird dann medizinische Apps verwenden.


Das persönliche Gesundheitsprofil, selbstaufgezeichnete Daten der Patienten, wie Blutdruck, Blutzucker oder Herzfrequenz, werden in Zukunft mit dem Computer des Hausarztes – und wenn nötig auch mit Labors und Krankenhäusern – vernetzt sein. Diese Mobile-Health-Dienste sollen innerhalb der nächsten Jahre im Gesundheitswesen der EU hunderte Milliarden Euro einsparen. Und europäische Krankenversicherungen wollen schon bald Bonusprogramme anbieten, wenn Patienten ihre auf medizinischen Apps basierenden Aufzeichnungen zur Verfügung stellen. In Italien und Deutschland gab es sofort nach Bekanntwerden dieser Idee einen Aufschrei der Entrüstung. Pro & Contra, das leidenschaftliche Diskutieren der Internet-Medizin von morgen, die Frage der Ethik und des Datenschutzes, die Entwicklung der digitalen Patientenakten wird die Zukunft beherrschen. Rigide E-Health-Gesetze werden bald in ganz Europa all diese Fragen klären müssen.

Kritische Mediziner warnen vor allem auch vor der Gefahr oft leichtgläubiger, eigener Diagnosen und deren gefährlichen Auswirkungen. Unter dem Titel „Die Zunahme des Nichtwissens“ untersuchen Wissenschaftler der Karl-Franzens-Universität in Graz ab Herbst dieses Jahres, welche Potenziale das Suchverhalten von medizinischen Laien für das Gesundheitswesen bringen kann, aber auch wie sehr sich ein selbsternannter Dr. Internet schaden kann. Anhand von medizinischen Fallbeispielen wie bei Dr. House werden die Möglichkeiten und Grenzen der Selbstdiagnose im Internet aufgezeigt. Beim Grazer MOOC (Massive-Open-Online-Course) müssen die Probanden nach der Suche im Internet eine Diagnose zu bestimmten Symptomen geben. Mit Videos und Quizfragen löst dann ein Ärzteteam um den Allgemeinmediziner Kurt Usar die Fälle auf. Bei aller Skepsis sehen viele Ärzte Medizin-Apps als große Chance: Sobald man die klassischen Stationen des Gesundheitswesens – Arztpraxis und Apotheke, Labor und Krankenhaus – verlassen hat, ist man einsam und mit seinen Leiden allein. Als selbsternannter Dr. Internet wird man aktiv, holt das Smartphone raus und recherchiert im Netz. Manchmal wird die Suche aber auch zur Sucht. Und fördert die Angst der Hypochonder. Ein paar Mal Hüsteln wird bei der Selbstdiagnose sofort zur Lungenentzündung. Die sogenannten Cyberchonder werden immer mehr …

michael.horowitz@kurier.at