Leben

Wildes Wohnzimmer

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„Feiiiiiiin.“ Long Hui hat sich hingesetzt. Sieht gemütlich aus, wenn Große Pandas das machen. Im Pandafitnesscenter des Tiergarten Schönbrunn ist das aber die Ausgangsposition für eine Reihe von Übungen, die jeden Hundebesitzer vor Neid erblassen ließen. „Und auf, Schatz“, Tierpflegerin Renate klopft mit ihrem Zeigestäbchen an die oberen Gitterstäbe des trennenden Käfigs. Bereitwillig kämpft sich das 115-Kilo-Bröckerl von Bär hoch. „Feiiin.“ Dem Pfiff aus der Hundepfeife folgt die Übergabe eines Stücks Süßkartoffel. Panda-Leckerli. Deshalb hat der Gauner wohl schon so sehnsüchtig vor der Eingangsklappe gewartet, als wir vom Reinigen der Innenanlage gekommen sind. Long Hui legt sich in weiterer Folge auf den Rücken und präsentiert sein Bambusbäuchlein, zeigt, nachdem ihm Renate vorsichtig auf die Nase geklopft hat, seine Zähne und streckt schließlich seine mit messerscharfen Krallen bewährte linke Pranke durch eine Öffnung der Gitterstäbe, lässt sie ruhig auf einer Schiene liegen. „Feiiiin.“ Das lässt schon ahnen, dass diese Übungen einen seriösen Grund haben und nicht mit Zirkustricks verwechselt werden sollten. „Es geht darum, einige medizinische Untersuchungen durchführen zu können, ohne ihn der Belastung einer Narkose aussetzen zu müssen“, erklärt Renate.

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Wenn sich Long Hui auf den Rücken legt, kann man seine Temperatur messen oder seinen Bauch per Ultraschall untersuchen, zeigt er die Zähne, kommt der Zahnarzt ins Spiel, legt er seine Hand auf die Schiene, ist er bereit für eine Blutabnahme. Dafür wird er aber fixiert, oder? „Nein“, widerspricht Renate, „da geht's ja auch um Vertrauen. Wenn wir ihn plötzlich festbinden würden, wär das ein Schock für ihn – da würde er wirklich anfangen, sich zu wehren.“ Der Panda weiß, dass es eventuell ein wenig piekst, aber er hält still. Solange er weiß, dass er danach seine Belohnung kriegt. Und Assistentin Nicole seine Tatze hält. Könnte sie ihn wirklich festhalten? Die zarte Frau sieht mich mit großen Augen an. „Natürlich nicht“, sagt sie. Long Hui ist ein Bär. Kein Mensch könnte ihn festhalten. Es geht nur um die Berührung. Ums gegenseitige Vertrauen... „Das Training funktioniert im Prinzip wie das Klickertraining bei Hunden. Also Befehl, wenn's klappt, das Geräusch, und direkt darauf die Belohnung“, erklärt Renate, „wenn man es konsequent zwei Mal die Woche macht, funktioniert das wirklich großartig. Aber das wissen Sie als Hundehalter ja eh.“ – „Natürlich“, murmle ich und bemühe mich, nicht rot zu werden, weil meine beiden Bestien außer „Platz am Couchie“ eigentlich alle Kommandos mit beinahe aristokratischem Gleichmut ignorieren.

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Renate, ihre Kolleginnen und ich haben uns um 7.30 Uhr in der Früh getroffen. Dienstbeginn für die Pfleger und Pflegerinnen des Wiener Tiergartens. Gehege werden gereinigt, abgefressene Bambusstängel und bambusgrüne Pandawürste entsorgt. Die Tiere freuen sich auf ihr Frühstück, um viertel vor acht begrüßt uns das Geheul der arktischen Wölfe aus dem Wald im Südender Anlage – ein gespenstisch schönes Konzert. Allein dafür hätte sich das frühe Aufstehen gelohnt. „Ja, ich wollt schon immer mit Tieren arbeiten – und nach einem Praktikum während des Studiums stand für mich fest, dass ich hier her will“, sagt Renate. Sie hat ihr Zoologie-Studium abgeschlossen, nebenbei im Tierpark gejobbt, nach der Uni machte sie die dreijährige Tierpfleger-Ausbildung. Zweiter Bildungsweg. „Meine Eltern hatten in Niederösterreich eine Landwirtschaft. Kühe, Schweine, Hühner“, sagt sie. Sie selbst lebt inzwischen auch wieder außerhalb Wiens. Mit zwei Hunden, Minischweinen, einigen Aquarien und vier Leopardgeckos. Seit zehn Jahren ist Renate inzwischen im Wiener Tiergarten angestellt, arbeitet mit Giraffen, Koalas, Kängurus, Ratten, den süßen Roten Pandas, die – und natürlich „ihren“ großen Pandabären. Ist es nicht unfair, dass sie den Nachwuchs immer nach China zurückbringen muss? Fu Long. Fu Hu. In zwei Jahren dann der jüngste, jetzt gerade erst drei Monate alte Panda-Bub. „Wieso?“, sagt Renate, „das ist doch meine wichtigste Aufgabe: Sicherzustellen, dass die Kleinen überhaupt so groß werden und gedeihen. Pandas sind Einzelgänger. Mit zwei Jahren werden sie auch in freier Wildbahn von ihren Müttern verjagt – und hier hätten wir ja gar keinen Platz für einen weiteren Panda. Wenn ich sie nach China bringe, ist das ein gutes Gefühl – denn dann hab ich meine Aufgabe erfüllt.“ Zwei Wochen bleibt Renate dann noch bei ihren Schützlingen, um ihnen die Umstellung zu erleichtern. „Am Anfang brauchen sie jemanden, den sie kennen, dem sie vertrauen. Sie verstehen ja auch die Sprache nicht.“ Als sie Fu Hu ablieferte, gab's auch ein Wiedersehen mit Fu Long, dem ersten Wiener Pandababy. „Er hat mich wiedererkannt“, sagt Renate. „Fu Long hat sich vor mich hingesetzt und wollte mit mir trainieren. Das war schön...“

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„No kumm her, klana Stinker.“ Tierpfleger Fredi streckt die Hand aus, der Katta nähert sich ohne Scheu, schließlich umfasst er mit seinen winzigen Händen einen Finger des Mannes. Kattas? Lemuren? Da war doch was ... „I like to move it move it!“ – „Ja genau“, sagt Fredi, während er den kleinen Halbaffen mit den koboldhaften orangen Augen hinterm Ohr krault. „Der King Julien, des is er, gell.“ Heißt er so? „Na, des wär doch zu viel des Guten. Dann müsstma unsere Totenkopfäffchen ja alle Herr Nilsson nennen, wie bei der Pippi Langstrumpf.“ Fredi ist seit 34 Jahren Tierpfleger, der Zoo ist sein zweites Wohnzimmer. Zuständig für Affen aller Art, Orang Utans, Gibbons, Lemuren, Bärenstummelaffen, Kaiserschnurrbart Tamarine, Springaffen, Varis, Zwergseidenäffchen. „Aber i mog sie einfach alle“, sagt Fredi und man glaubt ihm aufs Wort. Während einer seiner Kollegen sich dem Tierpfleger um den Hals wickelt, hat King Julien selbst inzwischen das Objekt seiner eigentlichen Begierde erreicht: Den Karton mit Stabheuschrecken, der zwischen Fredis Schuhen steht. Ohne zu zögern beißt er dem ersten Exemplar, das er erwischt, den Kopf ab. Frühnachmittagsjause in der fröhlichen Katta-Community Schönbrunns. Wie bei Kollegin Renate ist auch hier der intensive persönliche Kontakt nicht nur Jux und Tollerei, es geht darum, die Tiere bei Bedarf untersuchen zu können.

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Auch die Giraffen fallen in Renates Zuständigkeitsbereich. Am frühen Morgen begrüßt sie „Oma“ Carla.

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Bei den Kattas – „Für viel mehr als fressen, schlafen und nicht Vom-Baum-Fallen, ist in ihren kleinen Köpfen nicht Platz“, sagt Fredi – reicht es, dass sie keine Scheu vor ihrem Pfleger haben, mit den Orangs trainiert der erfahrene Experte täglich. „Rechter Arm vor.“ – „Linker Arm.“ – „Zähne zeigen.“ – „Guuuuut, braver Bua.“ Für die Affen ist es eine willkommene und spannende Abwechslung, für die Arbeit im Zoo eine unverzichtbare Übung, um die Tiere versorgen zu können. Zwischen Trainings- und Putzeinheiten ist Fredi vor allem als Gourmet-Koch gefragt. Affen sind wie Menschen Allesfresser, da ist Abwechslung angesagt. Mehlwürmer als Snack für Herrn und Frau Nilsson, Schwarzkäferlarven für die Gibbons, zu Mittag Vollmenüs mit Putenfleisch, Salat, Eiern, Gemüse und Früchten. Spalterbsen, Linsen und frisches Laub auch im Winter für die wählerischen Bärenstummelaffen. „A Tonne hamma im Sommer 'pflückt und eing'froren. Damit komma übern Winter“, sagt Fredi. Bei den Zaris, einer etwas größeren Lemurenart als es die Kattas sind, ist Highlife, als der Pfleger auftaucht. Zwei von ihnen, Manja und Tamala, hat er mit dem Fläschchen aufgezogen, weil die Mutter sie abgelehnt hat. „Handaufzucht ist immer problematisch“, sagt Fredi während sich die beiden auf ihn stürzen. Und auf mich, so nach dem Motto Papas Freund ist auch unser Freund. „Aber es funktioniert scho, du musst halt drauf schaun, dass d' sie rechtzeitig wieder in die Gruppe integrierst.“ Ein Baby-Kamel, Seidenäffchen, Kattas und Lisztaffen hat er im Lauf seines langen Berufslebens aufgezogen.

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Mit Maya, dem Orang-Mädchen lebte er monatelang in der Küche des alten Affenhauses. Er im Feld-, sie im Gitterbett. Hat er eigentlich Lieblingstiere, frag ich ihn, als Fredi mit seinen Kolleginnen kurz vor Dienstschluss um halb fünf noch die Mistkübel vor den Gehegen ausleert, Zigarettenstummel und Laub zusammenkehrt. Er stützt sich auf seinen Besen und denkt kurz nach. „Sollt’ i eigentlich net, oder?“, sagt er. „Aber die Nonja ...“Als Lehrling ist er mit der damals dreijährigen Orang-Utan-Dame Hand in Hand übers Gelände spaziert. Später hat er mit ihr trainiert, gespielt, gemalt, Hunderte Stunden lang. Heute ist sie als Malerin eine weltweite Berühmtheit. Wohl zu Recht, denn „... die Nonja ist schon ganz was Besonderes“, sagt Fredi. Und er muss es ja wissen.

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