Die Reportage: "Des kann do net so schwer sein"
Von Andreas Bovelino
Die Männer keuchen in der kalten Nachtluft. Zwölf Stufen hinauf, ums Eck, noch einmal zehn Stufen, erst dann setzen sie die Mülltonnen ab. Etwa 50 Kilo wiegt eine, jeder von ihnen trägt zwei. 750 Stück werden es heute bis 13.30 geworden sein. Aber das ist noch lange hin. Für die meisten Wiener hat der Tag noch gar nicht richtig begonnen. Es ist erst 6 Uhr morgens ...
Um Viertel nach Fünf hab ich mich auf den Weg gemacht, um die "Mistkübler" in der "Unterkunft", ihrer Einsatzzentrale in der Vorgartenstraße, zu treffen. Ich fahr nicht oft mit der ersten Straßenbahn. "Wir scho", sagt Michi und grinst, während er seine beiden Tonnen absetzt und den Gang entlang Richtung Tür schiebt. Von den Wänden sehen uns eine traurige Göttin und ein Dämon zu, dessen Relieffratze auf dem Giebel eines stilisierten griechischen Tempels sitzt.
Vor gut 100 Jahren wurde auch im zweiten Bezirk Wert auf ein wenig imperialen Glanz gelegt. Auf die Frage, wie der Mist aus dem Haus kommt, weniger. Der steht in verwitterten Lichthöfen neben Sperrmüllinstallationen und Essigbäumen, die sich trotzig durch den Estrich bohren. Oder in unverputzten Kellern. Der Weg dorthin gleicht einem Hindernislauf, Treppen, schmal, abgetreten, geschwungen – rauf und runter."Und dann haßt's, ,die Kübeln ham ja eh Rollen, des kann doch net so schwer sein!' Nur helfen dir die Rollen in die oidn Zinsheisa nix", sagt Michi und stemmt die beiden Ungetüme wieder hoch. Denn jetzt geht's treppab Richtung Ausgang.
Michi auf dem mühsamen Weg vom Lichthof, wo die Mülltonnen stehen, auf die Straße. Es geht treppauf und treppab und um sieben Ecken. Etwa 50 Kilo wiegen die Tonnen ...
Er und sein Kollege Jürgen sind heute "Vollträger", quasi die Speerspitze des MA48-Einsatztrupps zur Restmüllbeseitigung. Aus knapp 80 Häusern werden sie die vollen Mistkübel raus auf den Gehsteig holen, wo sie vom Müllwagen und seinem Team, also der Kavallerie, geleert werden. "Probier amoi", sagt Michi und zeigt auf einen der beiden Kübel, die er gerade ins Freie gebracht hat. "Geh tua eam net häkeln", sagt Jürgen. "Na, passt scho", sag ich mit breiter Brust und ausgestellten Ellenbogen. Ich will's wissen. Mit einiger Anstrengung lässt der Mistkübel sich anheben. Wie ich damit durch Stiegenhäuser gehen, geschweige denn, einen zweiten tragen sollte, will ich gar nicht mehr wissen. Die beiden grinsen. "Geht eh", sagen sie.
"Wia ma bei so ana schweren Oabeit so an Bauch hobn kann, werd i nie verstehn", sagt Ernstl, der "Inspektor". "I brauch doch die Energie – und a bissl a Gegengwicht für die Kübeln", sagt Michi und zuckt die Schultern. Ernstl ist der Chef des Teams, hat selbst mehr als 20 Jahre lang Mistkübeln gestemmt.
"Du bewegst di, bist draußen, triffst Leut. I kennt net in an Büro sitzen, den ganzn Tag. I wor imma a Hofkind." Ex-Fußballprofi Andi macht auch als "Mistkübler" viele Kilometer.
Als ich meine Zigarette wegschmeißen will, trifft mich ein amtlich strenger Blick. "Kost 36 Euro – i waß net, ob si des auszoit, für a bissl cool sein." Ernstl zwinkert. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dämpfe ich den Tschik in einem der Aschenbecher aus, die an den öffentlichen Mülleimern montiert sind. Eine weitere Premiere des heutigen Tages.Doch jetzt ist Ernstl schon wieder mit Organisatorischem beschäftigt. Die Position des Müllwagens muss eruiert werden, wir sollen den Rest des Arbeitstages mit der Kavallerie verbringen. "Der Heinzi, der Eierschädl, hebt net ob", sagt Ernstl. "Na, der heat's Handy net – weil DER tuat arbeitn", entgegnet Michi grinsend, während er mit langen Schritten an uns vorbeihastet. "Geh, drah di", sagt Ernst.
Schließlich biegt der mächtige 12-Tonner in unsere Straße ein, an Bord Fahrer Oliver, die beiden "Leerträger" Andi und Heinz und "Kipper" Philipp. Die "Leerträger" machen die meisten Kilometer. Sie bugsieren die vollen Tonnen zum Lkw und bringen die leeren zurück in ihre Lichthöfe und Kellerräume. Der "Kipper" muss die Tonnen so an den Zähnen der Hebevorrichtung positionieren, dass die greift, und er alles, was wir nicht mehr brauchen und nicht mehr sehen wollen, im Bauch des schnaubenden, brummenden Monsters verschwinden lassen kann. "Der Motor muaß laufen, sonst funktioniert's net", sagt Oliver. "Kipper is natürlich der leichteste Job. Aber keine Sorge – jeder kommt einmal dran", erklärt Philipp. Zwei Tage ist man als "Vollträger" unterwegs, zwei Tage als "Leerträger", einen als "Kipper". Dann hat man eine Woche überstanden.
"Willst probiern?", sagt Philipp und deutet auf das gefräßige Maul des Müllschluckers. Klar. Es ist dann nicht ganz so einfach, wie’s ausschaut, zwei volle Kübel gleichzeitig zu manövrieren. Als die ersten beiden endlich doch abheben, kracht einer von ihnen gleich wieder auf die Straße. Nicht gut eingehängt. Eine große Portion Pommes frites fällt aus der Tonne auf die Straße. "’tschuldigung", sag ich. "Kann passieren", sagt Philipp und kehrt die Fritten auf eine Schaufel. Mit seiner Hilfe krieg ich die restlichen zehn Mistkübel ohne weiteren Unfall in die Höhe.
Am Praterstern ist Zeit für einen schnellen Kaffee. Es ist kurz vor neun. "Waßt", sagt Oliver, der Fahrer, "die Kinda megn uns – es gibt fost kans, des net schaut und winkt und lacht, wemma kumman. Des mocht wirklich a Freid." Oliver rührt sorgfältig seinen Caffè Latte um. "Bei die Erwachsenen ändert si des dann. Die schimpfn glei amoi – dabei is' ja ihr Mist, den ma wegführn." So laut, kennt's net später kumman?, sagen die einen, Ihr hoit's den ganzen Verkehr auf, kennt's net früher fahrn?, die anderen. Und immer wieder: Konnst net zehn Meter vierefohrn, Deppata, dass i vorbeikum? Nein, kann er nicht.
Denn wenn Oliver zehn Meter vorfährt, dann müssen Heinz, Philipp und Andi, die bis zu 20 Kübeln, die entleert werden sollen, noch um zehn Meter weiterschieben – und wieder zurück. 20 Meter pro Kübel, 200 pro Stopp, das macht bei 80 Stopps mehr als eineinhalb Kilometer. Das geht nicht nur in die Knochen, das würde auch den knappen Zeitplan des Trupps durcheinander bringen. "Wo's geht, fohr i eh zuwe, und lass die Leit überholen – oba dass i meine Kollegen no mehr Arbeit moch? Na, sicher net."Es geht wieder weiter. Mit Oliver in der Fahrerkabine wird klar, mit welchem Problem er sonst noch zu kämpfen hat: Niemand will hinter einen Müll-LKW herfahren. Aus Angst, plötzlich festzusitzen, wenn er beladen wird. "Versteh i eh", sagt Oliver. "Aber irgendwie muaß i a weiterkommen." Ein Auto nach dem anderen zwängt sich vor ihm rein, stur stehen sie Stoßstange an Stoßstange, wenn er versucht, aus einer Nebenstraße rauszukommen. "Na fohr scho", brummt er unaufgeregt, und zu mir: "Ma wird ruhiger mit der Zeit. Mi kann a im Privatauto fast nix aus der Ruhe bringen. Oba am Anfang, da hot’s scho sein kennan, dass mir ab Donnerstag schlecht wor, weil i gwusst hob, dass i nächsten Mittwoch wieder durch besonders schmole Gasserln foan muass."
Um 10.30 fährt er mit bis zu 14 Tonnen Mist in die Müllverbrennungsanlage Simmering, Pfaffenau. Die Jungs machen Mittagspause, essen ihre mitgebrachten Wurstbrote. Was gefällt Ihnen eigentlich besonders an Ihrem Job? "Die Oabeitszeit – wenn ma si amoi ans Aufstehn gwöhnt hat", sagt Heinz. "Du bewegst di, bist draußen, triffst Leut. I kennt net in an Büro sitzen, den ganzn Tag. I wor imma a Hofkind", sagt Andi. Er war Fußballprofi, spielte bei Austria Salzburg, SV Ried, St. Pölten und der Vienna. Jetzt ist er 39 und kickt noch immer. FC Lindenhof United 04, Wiener Oberliga. Warum hat’s mit der ganz großen Karriere nicht geklappt? Andi zuckt die Schultern. "Es funktioniert net imma olles so, wie du dirs vurstöhst. An des muaßt die gwöhnen." – "Dabei hot der a Riesen-Talent ghabt", sagt Ernstl. Er hat auch gekickt. "I hob den Fav AC in die Bundesliga gschossn. Und Simmering – und Schwechat." – "Der war schneller wia da Schachner", sagt Heinz. "Nur sunst hoit nix", fügt Andi hinzu. Die Jungs lachen. "Geh drah di", sagt Ernstl.
Der Schmäh rennt – und das ist wichtig bei einer Arbeit, die einen körperlich an seine Grenzen bringt. "Wia i angfangen hob bei der Müllabfuhr, hab i die ersten zwei Monat ned amoi liegen können, ohne, dass mir was weh tuat", sagt Ernstl. Andi und die anderen nicken, lächeln beinah ein wenig bei dem Gedanken an die frühen Tage, die fünf, zehn, 15 Jahre zurückliegen.
Sobald Oliver aus Simmering zurück ist, geht’s weiter. Routiniert entsorgen sie die restlichen Mülltonnen des Tages, kurz vor 14 Uhr holen wir Michi und Jürgen ein, die gerade die vollen Mistkübel aus dem letzten Mietshaus des Tages getragen haben. Gemeinsam geht’s zurück in die Unterkunft. Duschen, und ab nach Hause. Die meisten legen sich dann erst einmal ein, zwei Stunden hin.
"Und, wos schreibst jetzt?", fragt Andi. "Dass ihr den bequemsten Job der Stadt habt, nur herumsitzt, Kaffe trinkt und zu Mittag fertig seid." Andi grinst breit. "Genau", sagt er schließlich und schüttelt meine Hand.
Wir verabschieden uns. Ich bin seit neun Stunden auf den Beinen. Und fühle mich vom bloßen Zuschauen wie gerädert. Dafür seh ich allerdings die Burschen in Orange, die mir auch schon hin und wieder lästig waren, mit ganz anderen Augen. Ein guter Tag. Dessen Rest ich wohl verschlafen werde.