Felix Mitterer über Qualen
Von Barbara Reiter
freizeit: Herr Mitterer, Ihre Anfänge als Dramatiker waren nicht leicht. Sie mussten elf Jahre auf den ersten lukrativen Auftrag warten. Waren das finanziell nicht sehr magere Zeiten?
Felix Mitterer: An Geld habe ich beim Arbeiten nie gedacht, was aber nicht geschadet hätte. Als Vertragsbediensteter habe ich beim Zoll damals nur 1.740 Schilling verdient. Die Freude, wenn in einer Literaturzeitung eine kleine Erzählung oder ein kurzer Text von mir erschienen sind, war aber riesengroß.
Das klingt selbst für die 1960er-Jahre nach wenig Geld. Wie kamen Sie zurecht?
Beim Zoll hatten sie eine Engelsgeduld mit mir. Die Kollegen haben mir ständig Geld geliehen. Am 15. des Monats bekamen wir das Gehalt bar in einem Briefumschlag. Ich musste es dann gleich weitergeben, um meine Schulden zu bezahlen. Spätestens am 20. habe ich es mir mit den Worten: „Entschuldigt’s bitte, jetzt brauch ich das Geld wieder“, zurückgeholt. Irgendwann war es dann Zeit, mit dem Schreiben etwas zu verdienen.
Ende der 1980er-Jahre hatten Sie mit der „Piefke-Saga“ ihren großen Durchbruch. Reden Sie heute noch gerne über das Thema oder nervt es Sie?
Das Thema geht mir überhaupt nicht auf die Nerven. So einen Glücksfall erlebt ein Autor nur ein Mal im Leben. Ich sollte längst an der Fortsetzung, der „Russen-Saga“ arbeiten, weil ich bestehende Verträge habe. Aber ich hatte am Theater so viel zu tun, dass ich das Fernsehen vernachlässigt habe. Man hat sehr viel Geduld mit mir.
Sie sind einer der wenigen Dramatiker, dessen Gesicht man kennt. Sind das die Auswirkungen der „Piefke-Saga“?
Das Thema hat so stark polarisiert, dass ich damals ständig Fernsehinterviews geben musste. So lernen dich die Menschen kennen. Vor zwei Wochen war ich im Zillertal, wo in einer Tenne die Piefke-Saga gezeigt wurde. Da waren Menschenmassen. Viele können heute noch ganze Dialoge auswendig, was ich nicht mehr kann. Da muss ich froh darüber sein.
Die „Piefke-Saga“ war eine Realsatire. Als Dramatiker beschäftigen Sie sich aber vor allem mit ernsten Themen. Was macht das mit Ihnen als Mensch?
Da ist man sehr angegriffen, das muss ich sagen. Das beste Beispiel ist mein neues Stück „Jägerstätter“, das am Donnerstag in der Josefstadt uraufgeführt wird. Das Thema war schwierig für mich, weil es eine furchtbare, wahre Geschichte ist. Jemand wird gefangen genommen, gefoltert, verhört und hingerichtet.
Franz Jägerstätter wurde wegen Wehrdienstverweigerung 1943 geköpft. Jetzt könnte man fragen: Warum hat er das gemacht? Er hatte doch Frau und Kinder.
Das ist eine wichtige große Frage, die auch im Stück vorkommt. „Wozu soll das gut sein?“ Alle haben sie ihm gestellt: Nachbarn, Freunde, Verwandte. „Sie schlagen dir den Kopf ab und fertig. Nichts wird sich ändern.“ Als ich dann erfahren habe, dass Kriegsdienstverweigerer in Amerika sich auf Jägerstätter berufen haben, war das meine Rettung. So konnte ich einen Sinn in seinem Tod sehen.
Wie haben die Amerikaner von einem Bauern aus Oberösterreich erfahren?
Der US-Soziologe Gordon Zahn ist nach Kriegsende zufällig auf Jägerstätter gestoßen und hat ein Buch über seinen Fall geschrieben. Deshalb kannte man ihn in Amerika, Kanada und England. Er wurde zum Vorbild der Kriegsdienstverweigerer im Vietnam-Krieg und in letzter Konsequenz hat sein Schicksal bewirkt, dass in europäischen Ländern der Zivildienst eingeführt wurde.
Wie ist es dazu gekommen?
Der ehemalige Bischof von Bombay, Roberts, hat beim Zweiten Vatikanischen Konzil durchgesetzt, dass die katholische Kirche endlich das Recht auf Kriegsdienstverweigerung anerkennt. Der Papst hat bei Kriegsausbruch sinngemäß nur gesagt: „Betet zu Gott und hofft, dass es ein ehrenvoller Krieg wird.“ Jägerstätter hat gemeint: „Die Franzosen beten zu Gott, dass sie gewinnen, die Deutschen auch. Wen will Gott erhören?“ Da musste die Kirche irgendwann reagieren.
In welcher Stimmung können Sie sich mit so einem schwierigen Stoff am besten auseinandersetzen?
Zum Schreiben brauche ich vor allem Ruhe, deshalb arbeite ich sehr oft in der Nacht.
Wie muss man sich den Arbeitsplatz eines Autors vorstellen?
Ich habe ein Haus im Weinviertel und schaue vom Schreibtisch auf eine Birke. Um mich herum liegen 600 Zettel mit Notizen. Viele hängen auch an der Wand und es herrscht ein scheinbares Chaos.
Hat sie die Birke schon einmal inspiriert?
Ein Berg, der auch in meinem Stück „In der Löwengrube“ vorkommt, hat mich einmal inspiriert. Ich habe damals in Tirol auf dem Bauernhof eines Freundes geschrieben. Durch das Fenster habe ich diesen Berg gesehen. Der hat mich fertig gemacht hat. Die Wetterstimmungen, die Wolken, der blaue Himmel und die Blitze, die auf die Bergwand geprallt sind, waren so schön, dass ich irgendwann die Vorhänge zumachen musste. Sonst hätte ich nicht weitergeschrieben.
Sie haben Ihre Heimat Tirol angesprochen. Warum leben Sie mittlerweile in Niederösterreich?
Ich bin ständig in Tirol und habe viele Freunde dort, aber ich möchte nicht sein, wo der Massentourismus ist. Hier in Niederösterreich ist es so fein und ruhig.
War der Tourismus auch der Grund, warum Sie nach Irland gezogen sind?
Das war nach der „Piefke-Saga“ und ich konnte in ganz Tirol in kein Gasthaus mehr gehen, ohne dass mich jemand darauf angesprochen hat – positiv wie negativ. Meine Familie hat das geärgert und dann sind wir umgezogen.
15 Jahre sind ganz schön lang.
Ich wollte nach drei, vier Jahren wieder zurück, aber da hatten wir uns gerade eingelebt. Dann lernt man Menschen kennen, und es wird immer schwieriger wieder aufzubrechen. Als ich dann Wörter meiner Muttersprache vergessen habe, wusste ich, dass es Zeit ist, zurückzukommen.
Hatten Sie jemals eine Schreibblockade?
Wenn ich ein neues Stück anfange, ist das Schreiben immer eine Qual. Es tauchen jedes Mal Zweifel auf, die sagen: „Es geht nicht mehr, ich kann es nicht mehr oder ich kann es noch immer nicht.“ Aber wenn die Figuren zu leben beginnen, schreiben sie sich von selbst.
Qual klingt nicht nach Traumberuf.
Das ist ja nur eine Seite. Die andere ist, dass meine Arbeit sehr spannend und jedes Stück eine neue Herausforderung ist. Die Bandbreite ist riesig – von den Passionsspielen Erl, für die ich zum 400-Jahr-Jubiläum den Text erarbeitet habe bis zu Peter Roseggers Roman „Jakob der Letzte“. Ich wurde anlässlich des Rosegger-Jahres gebeten, ein Bühnenstück zu schreiben. Das habe ich gerne gemacht, weil Rosegger mein Bruder im Geiste ist. Er hatte eine ähnliche Biografie wie ich – nur hundert Jahre früher.
Sie hatten eine schwierige Kindheit und wurden von Adoptiveltern großgezogen. Wie konnten Sie trotz schlechter Startbedingungen so erfolgreich werden?
Das muss ich von meiner leiblichen Mutter Adelheid Marksteiner haben. Sie hat einen Witwer geheiratet, der schon mehrfacher Vater war, keinen Finger gerührt hat und nur besoffen auf der Ofenbank gelegen ist. Trotzdem war sie bis zum Schluss fröhlich. Sie hat nie aufgegeben.
Warum hat Ihre Mutter Sie weggegeben?
Sie hatte schon 12 oder 13 Kinder und konnte mich nicht mehr ernähren. Ihre beste Freundin wurde meine Adoptivmutter, die mich später oft ziemlich heftig verprügelt hat. Das geben manche Menschen in ihrer Familie weiter. Aber ich hatte immer Retter. In diesem Fall war es mein Adoptivvater, der ein sehr fürsorglicher und lieber Mensch war.
Ihre Adoptiveltern waren als Wanderarbeiter sehr arm. Wie konnten Sie sich trotz Armut bilden?
Das habe ich meinem Lehrer Herbert Sojer zu verdanken. Er hat mir vom Heimplatz bis zu Stipendien alles verschafft. Ich bin immer wieder Menschen begegnet, die mich unterstützt haben.
Und wann haben Sie den Entschluss gefasst, Autor zu werden?
Ich habe schon mit acht Jahren beim Aufsatzschreiben entdeckt, dass da was ist. Seit damals wollte ich Autor werden. Man muss es einfach wollen, sonst geht’s nicht.
Wie würden Sie den Satz „Bischt a Tiroler, bischt a Mensch ...“ ergänzen?
Mir hat einmal jemand erklärt, wo das herkommt. Angeblich kommt das Tiroler Selbstbewusstsein daher, dass man hier viel früher frei war. Überall sonst wurden die Leute für irgendeinen Krieg eingezogen, aber die Tiroler hatten das Landlibell von 1511. Kaiser Maximilian sagte: „Ihr müsst’s nur eure Landesgrenzen verteidigen.“ Und die Bauern sind im Landtag gesessen. Das ist in der Steiermark erst 1848 passiert.
Der zweite Teil des Spruchs ist weniger erfreulich: „Bischt koana, bischt a ...“?
Das ist so eine blöde Endung. Ich mag es nicht, wenn man sich über andere Bundesländer erhebt. Da sage ich lieber: Ich bin ein Niederösterreicher.
„Jägerstätter“ von Felix Mitterer. Premiere ist am 20. Juni im Theater in der Josefstadt.