Leben

Grätzel mit Goldrand

Historische Villen. Häuser voller Geschichte und Geschichten. Wenn sie reden könnten, hätten sie viel zu erzählen. Von frühem Glanz und schweren Zeiten, von berühmten Bewohnern und außergewöhnlichen Charakteren. In seinem Buch „Im Cottage“ (Metroverlag) erzählt KURIER- Redakteur Werner Rosenberger von „Wiens ersten Adressen“. Ihre Bewohner waren und sind Künstler, Schriftsteller, Schauspieler oder Wissenschaftler. Ihre Geschichten mag die Couch Potatoes unter den Lesern ebenso interessieren wie leidenschaftliche Flaneure, die durch die Villenkolonie zu Fuß auf Entdeckungsreise gehen. Denn hier lebten Bühnenlegenden wie Josef Kainz und viele andere Künstler, etwa Johannes Heesters oder die Schauspieler-Dynastie Thimig. Und hier traf sich seinerzeit auch das junge Wien, wenn es nicht gerade am literarischen Stammtisch im Café Griensteidl saß: Arthur Schnitzler musste sich von seinem Bruder Geld borgen für den Kauf seines Hauses in der Sternwartestraße. Der Dichter Richard Beer-Hofmann schrieb mit dem „Schlaflied für Mirjam“ das wohl berühmteste Gedicht der Zeit um 1900. Und Felix Salten hatte zwischen den zahlreichen geschichtsträchtigen Jahrhundertwende-Villen, mitten im durchgrünten Herzen des Viertels, in der Cottage-Gasse seine Inspiration für seinen Welterfolg „Bambi“ – und für „Josefine Mutzenbacher“.

Gustav Klimt und Koloman Moser saßen im Garten von Mäzen und Kunstsammler Friedrich Waerndorfer, der sich sein Haus von Josef Hoffmann ausstatten ließ, die Wiener Werkstätte mitbegründete und innerhalb von zehn Jahren sein ganzes Vermögen verlor. Und der Phantastische Realist Arik Brauer hat die Fassade seiner historischen Villa sogar selbst gestaltet. Dieses Villenviertel Wiens ist ein besonders idyllischer Ort – eine Oase. Viele der Villen, Plätze und Gärten sind bis heute in ihrer ursprünglichen Pracht erhalten.

Das Grätzel war einst in seiner einzigartigen Bauweise und der Planung als urbane Gartensiedlung inmitten einer Großstadt Vorbild für viele weitere Siedlungen seiner Art. Die Villen im Landhaus-Stil, die ruhigen Gassen voller Bäume und Grünflächen erinnern eher an ein Dorf als an den Stadtteil einer pulsierenden Großstadt. Das Vorbild war eine englische Gartenstadt, als der Star-Architekt der Wiener Ringstraße Heinrich von Ferstel das Cottage-Viertel in der Nähe des Türkenschanzparks plante. Seine rundum belichteten, freistehenden Stadtvillen – allesamt mit einem Vor- und Hintergarten – entsprachen jener Vision gesunden Wohnens, die seit jeher der „besseren Gesellschaft“ vorbehalten war. 1872 regte Ferstel die Gründung eines Cottage-Vereins an, der bis heute über die Einhaltung der rigorosen Bauvorschriften wacht, die dem Viertel seinen Charakter geben. Stolze Häuser mit Patina, zwischen 1873 und 1930 errichtet, machen seinen Charme aus. Schauplätze für berührende, skurrile, komische und tragische Episoden und Ereignisse. Alexander Girardi etwa versteckte sich im Rosenkrieg mit seiner Frau Helene Odilon in einem Backsteinbau in der Hasenauerstraße, um der zwangsweisen Einweisung in eine Nervenheilanstalt zu entgehen. Einige wie der Autor und Journalist Georg Stefan Troller oder die Komponisten Emerich Kalman und Erich Wolfgang Korngold mussten ins Exil, haben ihre Heimat im Cottage verloren, als ihnen die Nationalsozialisten Vermögen und Besitz geraubt haben. Und viele verloren sogar ihr Leben ...