Gerettetes Paradies
Mit ihren bedrohlichen Revier-Schreien dominieren die Brüllaffen am Morgen die Geräuschkulisse des Regenwalds. Da halten sich die Primaten-Kollegen wie die Kapuziner- und Totenkopf-Äffchen lieber dezent im Hintergrund. Fühlen sich die bis zu ein Meter großen, dunkelfarbigen Schreihälse bedroht, pinkeln sie einem Eindringling auch schon einmal auf den Kopf. Auch das hat Michael Schnitzler schon erlebt. Ein Tucan flattert entnervt von einer gewaltigen Baumkrone. Sein überdimensionaler Schnabel ist gelb, grün und orange gemasert. Zwei Schmetterlinge in sattem Lavendel tanzen durch den Dschungel; sie sind handtellergroß. Auf einem Strauch saugen zwei Kolibris Nektar aus den Blüten, ihre Flügelschläge sind rasend schnell, als ob sie Duracell-Batterien verschluckt hätten. Aus dem Teich bei der Auffahrt ragen vereinzelt Schnauzen der Kaimane. Nachts sollte man den Pool der Lodge meiden, denn ab und zu verirrt sich dann doch ein verhaltensoriginelles Baby aus der Unterfamilie der Alligatoren im kühlen Nass.
Wildnis-Hüter Michael Schnitzler mit einem Softie von Brüllaffen.
Die "Playa Cacao", ein Aussteigerstrand am "Golfo Dulce" war der Ausgangspunkt für sein unglaubliches Abenteuer. Hier soff schon John Wayne.
Es ist nur ein kleiner Morgen-Spaziergang rund um die Esquinas Lodge und man fühlt sich wie Alice im Wunderland. Oder zumindest wie in einer Folge von "Universum" verschluckt. "Pura vida", auf Spanisch "das pralle Leben" und gleichzeitig das Lebensmotto der Bewohner von Costa Rica, gilt besonders in diesem Stück geretteter Wildnis im entlegenen Dschungel des Piedras Blancas Nationalpark im "wilden Süden" Costa Ricas. Hätte sich nicht vor 23 Jahren ein Geiger aus Österreich mit einem klingenden Namen in diesen Fleck Erde Hals über Kopf verliebt, wären in diesem Gebiet heute wahrscheinlich nur Viehweiden oder Ölpalmenplantagen. Die Bauern hätten den subtropischen Tieflandregenwald, der mit einer Baum- und Pflanzenvielfalt von 3.000 Arten klotzt, längst geschlägert und damit den Lebensraum von allein 124 Säugetier-Arten wie Tapire und Ozelote unwiederbringlich zerstört. Auf nur einem Hektar dieses Waldes wachsen 140 Baum- und 2.500 Pflanzenarten. Einen deprimierenden Eindruck, wie auch dieses Paradies hätte enden können, hatte man auf der Autofahrt von der Hauptstadt San José die Pazifikküste entlang in den Süden bekommen: Ölpalmenplantagen, Geisterruinen von Hotelburgen, die amerikanische Investoren, denen nach dem Platzen der Blase die Dollars ausgegangen waren, hinterlassen hatten.
Anfang der Neunzigerjahre war der Konzertmeister der Wiener Symphoniker und Geigenprofessor Michael Schnitzler eigentlich nur auf Urlaub in die Region des "Golfo Dulce" nahe des Hafenstädtchens Golfito gefahren. Den Anfang machte der Kauf eines Holzhauses auf einem Regenwaldhügel über der "Playa Cacao", einem Strandstrich, auf dem sich ein farbenfrohes Spektrum an Aussteigern gesammelt hatte. Unter anderem residierte dort ein einbeiniger US-Kriegsveteran, der als "Captain Tom" überregionale Berühmtheit erlangt hatte. Die Strahlkraft seiner Legende reichte so weit, dass in den Fünfzigerjahren der vom Ruhm erschöpfte John Wayne bei ihm um Asyl ansuchte. Über Wochen hatte der Filmcowboy sein Hollywood-Burn-out mit Pokern, Whisky und Fanfreiheit bei dem inzwischen längst verstorbenen Tom, der "ein bisschen wie der Käpt’n Iglo aus der Werbung aussah", so Schnitzler, erfolgreich kuriert. Bei seinen Ausflügen ins Umland realisierte Schnitzler, dass "hier einer der biologisch faszinierendsten Gegenden von der Zerstörung durch Schlägerungen bedroht war".
In der Nähe des winzigen Kaffs "La Gamba", ungefähr 45 Minuten landeinwärts und eine schlaglochreiche Holperstraße von Golfito entfernt, erstreckt sich rund um das Esquinas-Flussbett einer der letzten, unberührten Tieflandregenwälder, der noch zu einem großen Teil im Privatbesitz von örtlichen Bauern lag, die mit den Begriffen Naturschutz und ökologisches Gleichgewicht rein gar nichts anzufangen wussten. Manche davon können nicht einmal ihren Namen schreiben und besiegelten den Verkauf nach oft mühseligen Verhandlungen mit dem Abdruck ihres Fingers vertraglich. Ohne ein Wort Spanisch zu können und mit dem Mut, den Pioniergeister so an sich haben, beschloss der 1944 in der Emigration in Kalifornien geborene Sohn des Theaterregisseurs Heinrich Schnitzler und der Geigerin Lilly Strakosch den Kampf um dieses Paradies anzutreten.
Er gründete 1991 die Initiative "Regenwald der Österreicher" und kaufte mittels Spenden, die er in seiner Heimat in mühseliger Kleinarbeit sammelte, den Waldbesitzern ihre Grundstücke "zu mit der Regierung festgelegten Preisen" ab. Das gerettete Waldgebiet wurde nach dem Kauf der Republik Costa Rica weitergeschenkt, die es in Folge in den Piedras Blancas Nationalpark eingliederte. 23 Jahre und vier Millionen Euro später ist der Esquinas-Regenwald nahezu zur Gänze geschützt, doch auf diesen Lorbeeren will sich "Don Miguel" nicht ausruhen. Denn die Waldgebiete außerhalb des Nationalparks sind noch immer von Schlägertrupps bedroht, jetzt gilt es vor allem "biologische Korridore" zu schaffen und abgeholztes Gebiet wieder mit der früheren Artenvielfalt zu bewalden. "Wir brauchen dringend mehr Geld für Grundstückkäufe in den biologischen Korridoren. Es fehlt noch viel."
Der Margay, auch als Langschwanzkatze bekannt, ist etwas kleiner als der Ozelot und wurde mit Hilfe einer "Fotofalle" im Esquinas-Wald festgehalten.
Die Phrase "Chill dein Leben" wurde wahrscheinlich von diesem zweifingrigen Faultier erfunden.
Wir rattern bei dem winzigen Dorf La Gamba, dessen siebzig Familien durch Schnitzler eine Existenzsicherung bekommen haben, auf eine alles andere als vertrauenerweckende Brücke in Richtung Esquinas Lodge. Schnitzler lacht: "Nun ja, der Bürgermeister hat das Geld für eine neue Brücke abgezweigt und sitzt wegen Korruption. So geht’s hier zu bei uns im wilden Süden. Costa Rica ist ein Land, in dem drei ehemalige Staatspräsidenten gegenwärtig im Häf’n sitzen."
An finstere Gestalten hat er sich inzwischen längst gewöhnt: "In Golfito hängen einige Amerikaner herum, die sicherlich das FBI interessieren. Einen kannte ich sogar ganz gut: Chuck. Zu Hause in Kalifornien fand man in seinem Garten die Leiche eines Drogendealers vergraben. Irgendwann haben sie ihn dann abgeholt."
Die Lodge mit ihren sechzehn wild-romantischen Bungalows und einer "Dschungelvilla" betreibt er als "non-profit"-Betrieb, sie gilt inzwischen in der Reise-Bibel "Lonely Planet" als "eine der fünf vorbildlichsten Öko-Tourismus-Projekte" jenes Landes, das nur so groß wie die Schweiz ist und 1502 von Christoph Kolumbus den Namen "reiche Küste" verpasst bekommen hatte. Nach drei Tagen im Regenwald bekommt man durch die Luftfeuchtigkeit eine Haut wie ein Baby. "Die beste Schönheitskur", erklärt die Lodge-Managerin Catalina Torres, "die Frauen sind immer begeistert". Rund um uns im Haupthaus der Lodge schwirren Teilnehmer des "Prachtbienen"-Kongresses, der in der benachbarten Forschungsstation "La Gamba", die von Schnitzler 1993 mitbegründet wurde und inzwischen als eine Außenstelle der Universität Wien geführt wird, steigt. Biologen sind ein schrulliges und faszinierendes Völkchen: "Da gibt es junge Menschen, die über Wochen die Brunftschreie des granulierten Baumsteiger-Frosches studieren oder die Flügelschläge der Kolibris zählen."
Auf der Tropenstation hängt auch in drei Sprachen eine Gebrauchsanleitung "Was tun, wenn Sie von einer Schlange gebissen wurden?" Punkt eins: Keep cool. Klar gäbe es jede Menge Schlangen, darunter die wirklich hochgiftige Lanzenotter: "Aber in vierzehn Jahren ist es nur einmal zu einem Biss gekommen, da hatte eine Mitarbeiterin unvorsichtigerweise in einen Laubhaufen gegriffen. Und überlebt."
Der letzte Eintrag im Gästebuch lautet: "Lieber Arthur Schnitzler, wir sind so dankbar, dass es Sie gibt!" Den verwechselten Enkel amüsiert das. Er hat seinen Großvater nie kennengelernt. Nach der Rückkehr nach Österreich 1958 hatte er damals nur seine Geige im Kopf. Mit 17 spielte er bereits in der Wiener Oper unter den anerkennenden Blicken von Herbert von Karajan, mit knapp zwanzig war er erster Konzertmeister der Wiener Symphoniker, als Geiger des Wiener Haydn-Trios hat er mit über 3.000 Auftritten den gesamten Erdball bereist. Er zuckt die Achseln: "Das war alles wunderbar, ich hatte ein wirklich reiches Berufsleben. Aber trotzdem freut es mich am meisten, wenn ich vor allem als Umwelt-Aktivist wahrgenommen werde. Das ist mein, einsamer Weg’ oder vielleicht auch, Weg ins Freie’."
Reise ins Paradies
Die „Esquinas Rainforest Lodge“ von Michael Schnitzler ist Ausgangspunkt für zahlreiche Trekkingtouren in den Dschungel. Reisen in Michael Schnitzlers Paradies können bei dem Costa-Rica-Spezialist Ruefa gebucht werden, wo verschiedenen Packages in das „Pura Vida“, inklusive Regenwaldexkursionen, im Angebot sind. www.esquinaslodge.com
Hilfe für den Regenwald
Der Verein „Regenwald der Österreicher“ ist zur Bewahrung dieser einzigartigen Naturregion auf Spenden angewiesen. Mit einer Spende kann man auch eine Urkunde für ein symbolisches Stück Regenwald erwerben. www.regenwald.at
E-Mail: info@regenwald.at
Tel: 01/470 19 35
Spendenkonto: Bank Austria
BIC: BKAUATWW
IBAN: AT08 1100 0094 1426 0100
oder mit Kreditkarte über paypal@regenwald.at