Christian Seilers Gehen: Wo mutmaßlich Robert Seethalers "Trafikant" zu Hause war
Von Christian Seiler
Ich gehe die Währinger Straße stadtauswärts, passiere die Trafik, wo mutmaßlich Robert Seethalers „Trafikant“ zu Hause war, und werfe pflichtschuldig einen Blick in die Berggasse, ins Freudland. Gehe am Palais Chotek vorbei, das in riesigen Lettern den Namen „Friedrich Otto Schmidt“ auf der Fassade führt, was ein Hinweis auf das gleichnamige Unternehmen ist, das antike Möbel herstellte. Unter dem Palais soll sich ein Netz an verwinkelten Kellergängen befinden, aber zugänglich sind weder das Haus noch seine Unterwelt.
Im Garten vor dem Josephinum stehen derzeit Baumaschinen. Das Palais Clam-Gallas gegenüber liegt im Dornröschenschlaf, seit es die französischen Inhaber an das Emirat Katar verkauft haben, ewig schade. Ich gehe am Bezirksmuseum und am Arne-Karlsson-Park vorbei, überquere die Spitalgasse und gehe langsam Richtung Gürtel.
Vom WUK...
Bewundere einmal mehr das WUK, das von einer ehemaligen Lokomotivfabrik zu einem vielgestaltigen Kulturzentrum wurde, das Platz für alle Generationen und alle möglichen Aktivitäten hat, von der öffentlichen Fahrradwerkstätte bis zum Wiener Senioren Zentrum. Gegenüber steht das prächtig ziselierte Bürgerhaus, in dessen Erdgeschoss das Café Weimar untergebracht ist.
... zum Kutschkermarkt
An der Volksoper vorbei und an dem malerischen Zuckerlgeschäft, das mich seit meiner Kindheit fasziniert, überquere ich den Gürtel und bewundere im ersten Gürtelbogen links das ehemalige Portal des Mappen-Brieftaschen-Lederwaren-Geschäfts, das einmal alles Nötige „für Urlaub, für Reise, für Sport“ angeboten hat. Das erledigt inzwischen das Internet. Jenseits des Gürtels wird die Straße eleganter. Schicke Geschäfte haben sich rund um den Kutschkermarkt angesiedelt, wo die barocke Pfarrkirche der Währinger Straße ihren kantigen Zubau aus der Zwischenkriegszeit zuwendet.
Ich gehe an der zu Recht berühmten Buchhandlung von Petra Hartlieb vorbei, bis ich beim unschön hinter einer Tiefgarage versteckten Schubertpark ankomme. Der befindet sich auf dem Gelände des früheren Währinger Ortsfriedhofs, auf dem einmal Schubert, Beethoven und Nestroy beerdigt wurden. Auf Nummer 152 hole ich mir bei „Eis wie damals“ ein „Gefrorenes“, das ich schließlich im Norbert-Liebermann-Park am Aumannplatz verzehre. Ein prachtvolles, gelbes Wohnhaus überschaut den Platz, und auf der Gentzgassenseite zeigt sich das St. Carolusheim mit seiner eindrucksvollen Fassade.
Interessant, wie sich die Währinger Straße auf ihren letzten paar hundert Metern verändert, das Großbürgerliche abschüttelt und endlich vorstädtisch wird. Aus der ehemaligen Stadtvilla des konservativen Staatsdenkers Friedrich von Gentz ist ein puebloartiger Gemeindebau – der Toeplerhof – geworden, der einen neuen Anstrich gut vertragen könnte, und an die Stelle des Czartoryski-Schlössels ist die bemerkenswerte Hans-Radl-Schule für körperbehinderte Jugendliche getreten, die ihre luftige, heitere Form in den sechziger Jahren bekam.
Nach Gersthof ist es nicht mehr weit. Die vielgestaltige Währinger Straße endet nach 3,14 Kilometern unspektakulär unter der Vorortelinie.