Leben

Christian Seilers Gehen: Ohne Passkontrolle zum Stefan-Fadinger-Platz

Zum Beispiel Stefan Fadinger. Natürlich kannte ich den Namen, weil ich nämlich wusste, dass es einen Stefan-Fadinger-Platz gibt. Das wiederum war mir bekannt, weil die Straßenbahnlinie 1 dorthin fährt, jedenfalls wenn sie nicht in die Richtung der anderen Endstelle unterwegs ist, die sich an der Prater Hauptallee befindet.
Weil ich manchmal sehr verwegene Dinge tue, nahm ich den 1er in Richtung Stefan-Fadinger-Platz, ohne auch nur die geringste Vorstellung davon zu haben, wo sich dieser befindet. Das ist so in einer Stadt wie Wien: Selbst als Eingeborener (and I am born and raised in good old Vienna) kennst du in Wahrheit nur dein Grätzel. Du kennst ein paar ausgetretene Wege, ein paar Schlupfwinkel und bildest dir trotzdem ein, die Stadt gehört dir. Aber sobald du einmal vom Leopoldsberg über das frühere Schwemmland der Donau blickst, auf der einen Seite, und auf der anderen über die steinerne Weite der Stadt, wie sie sich nach Westen und Süden breit macht, dann kommt du schon auf den richtigen Gedanken: Von diesem Wien, wie es da liegt, kennst du sehr viel mehr nicht als schon.
Meine Hoffnung, dass ich ohne Passkontrolle zum Stefan-Fadinger-Platz komme, erfüllte sich. Ich verlor nicht ein einziges Mal die Orientierung, als die volle Bim quer durch Favoriten auf den Wienerberg fuhr, wo ich einen alten Bekannten erblickte: den Wasserturm.
Dieser Wasserturm ist ein besonders schönes Gebäude. Er entstand aus purer Notwendigkeit zum Anbruch des 20. Jahrhunderts. Die Drucksituation im Wasserbehälter am Wienerberg reichte nämlich nicht aus, um die höher gelegenen Gebiete des 10. und 12. Bezirks mit Wiener Hochquellenwasser zu versorgen. Der Architekt Franz Xaver Borkowitz entwarf daher den Wasserturm, um sich die Gesetze der Hydraulik zunutze zu machen und die unterversorgten Haushalte durch die höhere, stehende Wassersäule in Favoriten druckvoll mit besten Gebirgswasser ansteuern zu können.
Ich hatte diesen Wasserturm einmal besucht, als ich über die Geschichte der Wiener Hochquellenwasserleitung recherchierte, und ich erinnerte mich, als ich den eleganten Turm mit seiner fein ziselierten Fassade vor mir stehen sah, an sein feierliches, fast 50 Meter hohes Innenleben (wer sich dafür interessiert: Die nächste Wasserturm-Führung findet am 29. Mai ab 20.00 Uhr statt; kann ich sehr empfehlen!). Was ich dazugelernt habe: Der Wasserturm (Adresse: Windtenstraße 3) ist genau eine Minute vom Stefan-Fadinger-Platz entfernt.
Ich umrundete den Wasserspielplatz, in dessen Mitte der Wasserturm heute steht, und machte mich dann auf den Weg nach Süden. Ging an ein paar Gemeindebauten und der Kirche Maria vom Berge Karmel vorbei zum Erholungsgebiet Wienerberg, von dort weiter zur Gutheil-Schoder-Gasse, wo ich die Badner-Bahn zurück in die Stadt nahm.
Eines bin freilich noch schuldig. Wer war denn jetzt dieser Stefan Fadinger?
Antwort: ein Anführer des Obderennsischen Bauernaufstandes von 1626. Sagen Sie bloß nicht, Sie hätten es nicht gewusst.

christian.seiler@kurier.at

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