Leben

Mein Bullerbü

Das Elektroboot tomatenrot und wie aus einem Peter-Alexander-Film gepurzelt, der See tiefgrün, hinten glitzerte der schneebedeckte Dachstein. Nach langer Zeit war ich wieder einmal nach Altaussee gekommen. 15 Jahre lang hatte ich hier die Sommer verbracht und jeder Fleck rund um den See erzählte mir eine Geschichte. Dort beim Lechstein hatte ich gewettet, dass ich schwanger bin, wenn sich dieser umherflatternde Schmetterling auf mich setzt. Was er auch tat. Der Fortpflanz hatte sich bereits auf den Weg gemacht. Drüben, beim alten Schiffsanlegeplatz, war ich bei hohen Wogen in Seenot geraten und musste von Pauli, dem Seewiesen-Bären, abgeschleppt werden. Genau gegenüber hatte ich eine Schiffsschraube schrottreif gefahren. Als ich in die „Seewiese“ purzelte, stand die Eva wie all die Jahre in der Küche und sagte: „Guart, dass’d da bist, es gibt g’füllte Paprika.“ Die hat sie mir zur Seite gelegt. Die ganzen drei Tage waren ein einziges Nach-Hause-Kommen. Selbst der ansonsten so strenge Herr Kalss, der Bootsvermieter, dem ich nicht immer nur Freude bereitet hatte, zeigte sich gerührt: „Wo warst denn die ganze Zeit?“ – „Net da“, antwortete ich. Da schüttelte er nur den Kopf, denn der Altausseer kann sich einfach nicht vorstellen, dass jemand an einem anderen Ort freiwillig seine Zeit vergeudet. Die Erinnerungen an die Sommer in November-Kälte, das nervende Wiener Bürgertum, das aufgebrezelt wie Almabtriebs-Kühe den Ort überschwemmte – all das wie weggeblasen. Ich war diesem Dorf nur so dankbar, dass es sich dem Fortpflanz und mir eine ganze Kindheit lang als Spielwiese ohne Verbotstafeln zur Verfügung gestellt hatte. „Jeder Mensch findet irgendwann sein Bullerbü“, hat Astrid Lindgren einmal geschrieben. Diesen Posten auf der Erledigungsliste kann ich abhaken.

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