Leben

Ehrgeiz ist die Wurzel aller Hässlichkeit

Zeit für einen Boxenstopp an der Denkstelle. Aber bitte ohne solche Sätze wie „Don’t dream your life, live your dream“. Das ist einer der Top-Three-Allergieschubsätze des Jahres 2014, knapp gefolgt von „Hier stimmt das Preisleistungsverhältnis noch“ oder „Ich muss erstmal meine Mitte finden“. Und gerade die, die einen mit diesem Paulo-Coelho-esken Traum-Leben-Schwampf zutexten, haben ihr Entwicklungspotenzial meist seit Jahren auf Freeze-Modus gedrückt. War 2014 pädagogisch wertvoll? Aber hallo! Noch nie so sehr kapiert, dass Dinge zu angestrengt zu wollen, zwangsweise ins Nirwana der Enttäuschungen führt. Verbissenheit und selbstauferlegter Druck sind die Todfeinde der Kreativität. Und „Ehrgeiz ist die Wurzel aller Hässlichkeit.“ – Danke Oscar Wilde auch dafür. Unwiderruflich geschnallt, dass streckenweise Nichtstun herrlich, inspirierend und extrem befreiend ist. Leerläufe werden im Leben 2015 zum Pflichtgegenstand werden; die Größe Zeit bekommt Kronjuwelen-Status. Sie verdient den allersorgfältigsten Umgang. Alles, was auch nur im Entferntesten unter Attacke auf die Lebenszeit fällt, muss eliminiert werden. Keine unnötigen Treffen mit besser entfernten Bekannten, nur weil man durch seine gute Erziehung versaut ist. Keine Projekte zusagen, die einen im emotionalen Temperaturbereich lauwarm belassen. Den Satz wie ein Mantra einstudieren, bei dem man früher eine Gaumenzäpfchenprellung bekommen hätte: „Ich möchte es nicht.“ Reduktion des Freundeskreises auf die wesentlichen Protagonisten. „Take your time, or it will take you“, flüstert mir der kleine Lendenschurz-Guru bei einem Hindu-Tempel und hebt und senkt seinen Kopf wie ein Wackeldackel voller Begeisterung über diese Erkenntnis.

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