Leben

Trümmermenschen

Es sind richtig viele Verrückte unterwegs. Dabei fallen die im turbulenten Selbstgespräch Vertieften gar nicht mehr auf,weil jeder inzwischen der fixen Annahme ist, dass es sich um einen geschäftigen Fall von Handyfreisprecherei handelt. Ich fühle mich sehr wohl unter den Trümmermenschen. Ich nenne sie so, weil die Realität ihren Verstand bizarr geschossen hat. Unlängst saß ich in einer Sandler-Suppenküche, wo eine Frau in einem zerschlissenen Dirndl auf mich zustob. Sie flüsterte hektisch und in gestelztem Hochdeutsch: "Es ist der pure Zufall, dass Sie mich hier vorfinden, also eigentlich bin ich gar nicht da. Aber Wolfgang Schüssel und sein Spionageteam verfolgen mich und ich muss in den Untergrund gehen." Für den Wohlfühlfaktor eines dem Denkmainstream entrückten Menschen ist es extrem wichtig, dass man sein Universum ernst nimmt. Ich sagte also: "Dieser Schüssel war mir schon immer unheimlich. Aber wer ist denn jetzt eigentlich sein Auftraggeber?" – Jetzt zerwühlte sie sich die nicht vorhandene Frisur und raunte: "Des is ja auch schon des Problem, der wüll eam a los werden. Wir san scho mitten in die Verhandlungen." Sie hatte alles verloren, den Job, die Zuwendung ihrer Kinder, der Mann war schon längst abgehaut. Aber ihre Fantasie war für sie das letzte Asyl, um sich ihren Zustand schön zu reden. Man sollte Stenografen in diese Zufluchtsorte setzen, die die surrealen Geschichten, die dort durch die Luft fliegen, festhalten. Eine Freundin pflegt ihre schwer an Demenz erkrankte Mutter. Die spricht jetzt nur mehr Russisch, weil offensichtlich die große, zeitlebens unterdrückte Liebe ihres Lebens ein Besatzungssoldat gewesen ist. Diese Geschichte ist das Romantischste gewesen, das ich seit Langem gehört habe. Und wie Sie ja wissen: Zyniker wie ich sind in wahrer Wirklichkeit nur enttäuschte Romantiker.