Sentimentalitäten mit Hut
Von Polly Adler
Das Kind trug so einen eigenartigen Quadrathut mit Quaste, war aber unter der Kutte so gestylt, als ob es demnächst auf Flittchenwochen zu gehen gedenke oder den Partyhelikopter einer kreuzfidelen Oligarchen-Sippe zu besteigen plane. „Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um nicht aufzufallen“, merkte es an, als die zur „Graduation“-Zeremonie angereiste Adler-Mischpoche einen Rügen-Tsunami loslassen wollte. Natürlich war ich dem Fortpflanz dann noch einmal megapeinlich, denn selbstredend gingen Tränen auf Reisen. War aber auch schwierig, trocken zu bleiben: ergreifende Streichmusikklänge, ebensolche Reden seitens des Lehrkörpers, in denen vom neuen Lebensweg, dem ollen Erwachsenwerden und einer anstrengenden Zukunft die Rede war. Ich betrachtete all die Prachtmädchen mit ihren glänzenden Mähnen unter den Harry-Potter-Hüten und ihrer Hoffnung im Blick. „Bist du ein bisschen stolz auf mich, du Heulsuse?“, fragte das Kind mit zufriedenem Blick, denn es hatte gerade von der lieben Verwandtschaft die entsprechenden Kuverts entgegengenommen, im Restaurant. Schon wieder zitterten die Lippen. „Ja, flenn' nur“, sagte das gnadenlose Kind, „so wie ich geflennt habe, als du bei meinem Volksschulabschluss-Fest bei irgendeiner sinnlosen Hochzeit in Israel warst.“ Man kann davon ausgehen, dass ich dieses Versäumnis noch auf meinem Sterbebett um die Ohren gefetzt kriegen werde. Auf meinem schlechten Gewissen war das Kind schon immer genussvoll Trampolin gesprungen. „Es waren acht Tanten, zwei Omas, eine Uroma und ein Vater als Ersatzclaqueure da.“ – „Mutter kann durch nichts ersetzt werden“, schnulzte sie jetzt so perfide, dass mir so gar nicht mehr zum Heulen zumute war. „Du Schlange!“ – „Na, endlich bist du wieder normal!“
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