Trunken von Paris
Von Polly Adler
Ich sitze mit dem Fortpflanz im Flieger nach Paris. Klar doch: Das ist unvernünftig. Aber genau deswegen fühlt es sich ja so gut an. Außerdem ist mein Konto genauso in Schieflage, wenn ich nicht nach Paris fahre. Der Fortpflanz und ich ergehen uns in Kalorienfieberfantasien, während wir an einem mehlwurmfarbenen Toast der Firma Niki herumkauen. Die Orangenschokolade bei Denise Acabo – jener Frau, die auch mit 75 in einer Schulmädchenuniform in ihrem Süßigkeitenolymp in der Nähe der Place Pigalle ordiniert. Sie war als Kind im Klosterinternat immer so unartig gewesen, dass sie keine Bonbons bekommen hatte und sich mit dem weltbesten Zuckerlgeschäft an den Spaßbremsen von Nonnen rächte. Wir malten uns die in Kräutersauce schwimmenden Schnecken bei Chartier aus, die dir Kellner am Rande des Schlaganfalls auf das Papiertischtuch knallen. Das ganze Lokal sieht aus wie ein sehr Kokotten-tauglicher Ballsaal aus einem Toulouse-Lautrec-Gemälde. Wir stellten uns die Butterberge vor, die bei Monsieur Delmontel jeden Morgen zu abartig guten Croissants modelliert wurden. Ich dachte an Joseph Roth, der fast wahnsinnig vor Glück wurde, als er einen Job als Paris-Korrespondent bekam. Weil hier jedes Wäschermädel auf Balzac-Niveau Liebesbriefe zu verfassen imstande war. Als wir ankamen, fühlten wir uns wie Roth in seinen besten Tagen. Es waren nicht sehr viele gewesen. Ich dachte viel an M und sah sie eigentlich tausend Mal um die Ecke biegen. Mit ihren ausgehatschten Leopardenstiefeln. Paris war ihr Sauerstofftank gewesen. Ein Jahr ist es her, seit sie nicht mehr da ist. Ich schlurfte ins „Deux Magots“, wo wir fast einmal Fanny Ardants Schoßhündchen zu Brei getreten hätten, bestellte mir ihren Rotwein. Und heulte wie ein Kind. Der Ober reichte mir ein halbes Tischtuch. Das hätte ihr gefallen.
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