Leben

Atemlos durch die Nacht

Man hätte die Zeichen schon viel früher deuten können, sollen, müssen.“ – Die Dramatik des Satzes unterstrich mein gleichgeschlechtlich orientierter Freund, indem er sich die Mähne nach Art der Jahrhundertewende-Dirigenten raufte. Wir befanden uns am Tag 3 nach seinem Beziehungs-Crash. Ich hätte meine Vinyl-Sammlung verwettet, dass der Mann, den er gegenüber dem Rest der Menschheit so sehr überschätzt hatte (Danke, Herr Shaw, für diese Definition von Verliebtheit), der Typ war, mit dem er einmal mit ohne Zähne unter dem Lindenbaum zu sitzen kommen würde. Es hatte alles so perfekt geklungen: Gleicher Tattoo-Geschmack, gleiche Herkunft aus gehobenem Mittelstand, beide hatten ihren Zweitwohnsitz in der Muckiburg und dementsprechend Michelangelo-taugliches Körpermaterial, beide hatten bereits einige Tausend Kilometer auf dem Unfug- und Exzess-Tachometer absolviert. Man hätte also ohne Versäumnispanik in den Beziehungshafen eintuckern können. Also wo waren diese Zeichen gewesen, die das Here-comes-trouble-Alarmsystem zum Rotieren bringen hätten sollen? „Sein Lieblingsfilm war ,Die hard’“, presste mein Freund hervor, „und er hörte sich gerne Helene Fischer an, wenn es ihm schlecht ging. Bruce Willis und Helene Fischer als Trostspender-Kombi sind ein Worst-Case-Szenario. Ich hätte sofort rennen müssen...“ So gesehen hätte ich mir die Hälfte meiner Liebesbiografie gespart: Ich war in Free-Jazz-Clubs verzweifelt, hatte mich auf Hochständen im Morgengrauen zu Tode gelangweilt, Wagner-Opern überlebt und Männer geliebt, deren dürftige Bibliotheken zu allem Überfluss auch noch John Grisham und Donna-Leon-lastig waren. Mit einem Frühwarnsystem wäre mein Leben erholsam erlebnisarm gewesen. Ich sang also: „Atemlos durch die Nacht – spür, was die Liebe mit uns macht!“

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