Blondes Gegen-Gift
Von Dieter Chmelar
Die 39 Filme ihrer 20-jährigen Karriere (1948–68) trugen Titel, die gut zwei Generationen das Internet mit all seinen Nackerten und ihren Verrenkungen ersetzten. So anzüglich wie hochgeschlossen. Von "Zaubernächte in Rio" über "Meisterschaft im Seitensprung" bis zum "Mann in Mammis Bett". Ja, sie war schön, sie war erotisch, aber sie machte – als blondes Gegen-Gift zu Monroe, Mansfield oder Bardot – Millionen Männer zu Süchtigen des Züchtigen: Doris Day, feuchte Fieberfantasie der Fifties und Kaskadeurin des keuschen Konjunktivs. Was wäre nicht alles möglich gewesen! Der Komponist Oscar Levant ( 1972) ätzte: "Ich kannte sie, bevor sie Jungfrau wurde." Und Frank Sinatra ( 1998), für den die Vermutung gilt, dass er sie alle hatte, als er sie noch alle hatte, ergänzte – offenbar abgeschmettert: "Sie ist die einzige Frau, die unter ihrem Slip noch einen trägt." Day, als Scheidungskind deutscher Einwanderer in Ohio ursprünglich eine Kappelhoff, wollte anfangs Tänzerin werden, verlor aber bei einem Zugunfall beinahe beide Beine. Als Sängerin und Schauspielerin interessierte es sie nie, "Leute im Bett beim Sex zu sehen – ich finde das einfach krank. Ich hätte sowas nicht mal mit 25 gedreht, selbst, wenn meine Karriere davon abhängig gewesen wäre."
Selbst Alfred Hitchcock ( 1980), der notorische Blondinen-Befummler, zerschellte als Brandstifter an der Biederfrau. Zur Strafe quälte er sie mit Aberdutzenden Takes ihres (erfolgreichsten) Liedes "Que sera" in "Der Mann, der zuviel wusste". Sie sang sich die Seele aus jenem Leib, der sich dem (unwiderstehlichen) Regie-Genie stur verschlossen hatte. Dabei sagte die Day nachweislich vier Mal Ja. Sie heiratete erst einen gewalttätigen Posaunisten, einen windigen Schauspieler, einen unseriösen Manager, der sie glatt ums gesamte Vermögen brachte, und zuletzt einen zwölf Jahre jüngeren Gastronomen, der ihr alles auftischte außer die Wahrheit.
"Die Ehe ist wie ein Telefon", sagte sie nach ihrer finalen Scheidung 1982, "wenn man nicht richtig gewählt hat, ist man falsch verbunden." Vielleicht wäre doch Rock Hudson ( 1985), den sie "Ernie" nannte (weil er nicht als Felsen, sondern eher als Schmusepolster taugte), über all die gemeinsamen Filmhits hinaus der ideale Partner auf der senk- wie waagrecht gespannten Leinwand gewesen: "Wenn es einen Himmel gibt, dann bin ich sicher, dass er dort ist. Er war so wunderbar." Der homosexuelle Prachtkerl, der 1985 als erster Weltstar dem HIV-Virus zum Opfer fiel, war kongenialer Komplize ihres verklemmten Versteckspiels – ob im Pyjama, beim Bettgeflüster oder in Spitzenhöschen.
Mit 90 ist Doris Day endlich (und erstmals) animalisch: Sie sammelt Geld für den Tierschutz...