Bernhard Kohl über Neuanfang
Von Barbara Reiter
freizeit: Bernhard, bist du heute schon mit dem Rad gefahren?
Bernhard Kohl: Natürlich. Ich fahre immer mit meinem E-Bike in die Arbeit.
Ist ein Rad mit Motor nicht unter der Würde eines ehemaligen Radrennprofis?
Im Gegenteil. Man hat was für sich getan und kommt Dank des Motors nicht verschwitzt an. Ich fahre die ganze Woche mit dem Stromer, am Wochenende hat ihn meine Frau. Der Motor gleicht den Leistungsunterschied zwischen Mann und Frau aus und man kann gemeinsam sporteln. Wenn meine Frau will, kann sie mich am Berg ganz schön fordern.
Da hört man schon ganz den Profiverkäufer durch. Wie laufen die Geschäfte?
Vor drei Jahren hatten wir 1.000 m² Fläche und sieben Mitarbeiter, jetzt sind wir 32 Leute auf 3.000 m². Wir versuchen, unseren Kunden immer das Neueste zu bieten, zum Beispiel einen Laser, der den Körper von oben bis unten vermisst. Mit den eineinhalb Millionen Messpunkten, finden wir für jeden das optimale Rad.
Wie viele Radkilometer pro Jahr fährst du noch? In deiner Zeit als Aktiver waren es doch 35.000 Kilometer.
Es werden etwa 3.000 Kilometer sein. Am Wochenende fahre ich mit meiner Frau und jeden Dienstag bei unserem Kunden-Event. Da radeln 60 Leute mit mir durch den Wienerwald.
Derzeit wird auch in Frankreich wieder Rad gefahren. Hinter uns läuft die 100. „Tour de France“ im Fernsehen. Mit welchen Gefühlen siehst du zu?
Mir geht es sehr gut damit. Ich schaue die Tour jedes Jahr, daran hat mein Doping-Geständnis 2008 nichts geändert. Ich liebe den Radsport.
Wusstest du, dass in den vergangenen hundert Jahren der „Tour“ angeblich nur vier Gewinner nicht gedopt waren?
Die genaue Zahl kenne ich nicht. Aber bei der „Tour“ werden in drei Wochen dreieinhalbtausend Kilometer gefahren und 40.000 Höhenmeter bezwungen – bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 40 km/h. Das ist vier Mal der Mount Everest. Jeder, der ein bisserl Rad fährt, weiß, dass das ohne nicht geht.
Heuer wurde aber wieder damit geworben, dass das Rennen jetzt sauber ist.
Das habe ich damals doch auch gesagt. Der Radsport befindet sich in einem Teufelskreis. Die Sponsoren wollen eine saubere Tour für ihr Image, andererseits wollen sie aber Erfolge und TV-Minuten. Das System ist schwer zu ändern. Man darf nicht vergessen, dass die sportlichen Leiter von heute die Profis von damals sind und früher genauso gedopt haben. Das System ist nicht zu ändern. Auch wenn die Medien sich erwarten, dass der Radsport sauber wird und nun alle sagen, dass es so ist: Realistisch ist das nicht.
Es heißt immer, dass man im Radsport dopen muss, weil es alle anderen tun. Es hätten doch auch alle gleiche Chancen, wenn keiner dopen würde.
Das stimmt schon, aber es geht ja um ganz andere Dinge wie Macht und Geld.
Was heißt das konkret?
Nehmen wir als Beispiel Epo, auf das ich 2008 positiv getestet wurde. Von der weltweiten EPO-Produktion werden nur etwa sieben Prozent für medizinische Zwecke genutzt, zehn Prozent für den Profisport und die restlichen 80 Prozent, mit denen die Pharmakonzerne Milliarden machen, werden von Hobbysportlern gekauft. Es dürfte eigentlich nur das EPO hergestellt werden, das für die Medizin gebraucht wird. Dann wäre eine Änderung möglich. Das wird aber wegen der Profite am Schwarzmarkt nicht passieren.
Blöde Frage: Wozu braucht ein Hobbysportler Doping?
Damit er beim nächsten Hobbyrennen seinen Nachbarn abhängen kann. So einfach ist das. Menschen messen sich gerne und loten aus, wo ihre Grenzen sind.
Kannst du nachvollziehen, dass sich aufgrund des Systems viele Menschen vom Radsport abwenden?
Bei der „Tour“ sind auch heuer wieder Millionen begeistere Zuschauer vor Ort. Der Mythos ist nicht umzubringen. Ich verstehe auch die Kritik, würde sie aber noch besser verstehen, wenn man bei allen Sportarten dieselben Maßstäbe anlegen würde. Das passiert aber nicht.
Aus Fairnessgründen müsste man auch Künstler erwähnen, die Drogen zur Kreativitätssteigerung nehmen.
Es reicht schon, sich Filmstars anzusehen. In einem Film haben sie 90 Kilo und einen Bauch, im nächsten sind sie muskelbepackt und haben kein Gramm Fett. Das geht auch nur mit Doping. Die nehmen nix anderes als ein Sportler: Testosteron, Cortison und Wachstumshormone. Schauspieler werden von den Medien bejubelt und gelten bei Jugendlichen als Idole, nur der Sportler ist ein Betrüger?
Ende Juni wurde Jan Ullrich wegen einer halbherzigen Doping-Beichte enorm kritisiert. Wie lautet deine Meinung dazu?
Ich finde den Weg, den ich gegangen bin, besser. Ich habe damals alle Fakten auf den Tisch gelegt. Heute machen das viele, ich war damals einer der ersten. Ullrich ist ein extrem lieber Kerl und will halt keinen schlecht machen. Wenn du so einen Schritt gehst, enttäuschst du viele Leute aus deinem Umfeld. Das ist ein harter Schlag, aber irgendwann geht es wieder aufwärts. Reinen Tisch zu machen, ist notwendig, um neu durchzustarten. Sonst kannst du nie abschließen.
Konntest du denn abschließen?
Mein Jugendtraum war immer, unter die Top Ten bei der „Tour“ zu kommen. Ich wurde 2008 Dritter im Gesamtklassement und habe das Bergtrikot gewonnen. Damit hatte ich meine Ziele übertroffen und konnte nach dem Dopingskandal einen klaren Strich ziehen und in mein neues, jetzt sehr erfolgreiches Leben starten.
Nach dem Dopingskandal wurden dir diese Erfolge aber aberkannt.
Für mich persönlich haben meine Erfolge noch immer die gleiche Wertigkeit. Den Moment, auf den Champs Élysées auf dem Podium zu stehen, kann man sich nicht kaufen. Ich weiß, wie der Profisport tickt. Ein Ullrich und ein Armstrong haben mit demselben Wasser gekocht wie ich. Deshalb bleibt der Erfolg für mich bestehen.
Also bleibt Lance Armstrong für dich auch siebenfacher Tour-Sieger?
Das ist eine unmenschliche Leistung, auch wenn er gedopt war. Es ist einfach gedacht, wenn man glaubt, man haut sich eine Spritze rein und radelt los. Dahinter steckt jahrelanges hartes Training. Sieben Jahre in Folge fit zu sein und nicht zu stürzen, ist eine Höchstleistung. Es hat nie mehr jemanden gegeben, der so hart trainiert hat wie Lance Armstrong.
Hast du noch Kontakt zu Rennfahrern?
Zu denen, die nicht mehr aktiv sind, schon. Da kann man dann auch über Doping reden. Für die Aktiven gibt es Doping natürlich nicht. Aber sobald sie aufhören, kann man wieder offen reden.
Deine Sperre läuft Anfang Juli 2014 aus. Hast du nie mit dem Gedanken gespielt, wieder in den Radsport einzusteigen?
Bis vor drei Monaten wusste ich nicht einmal den Termin. Aber da er näher rückt, werde ich wieder öfter danach gefragt. Für mich ist das Thema klar abgeschlossen. Als Geschäftsmann kannst du nicht in etwas auf Probe investieren. Ich wäre nach dem Weg, den ich beim Geständnis gewählt habe, auch nicht mehr willkommen.
Du hast eine zweijährige Tochter. Wie würdest du reagieren, wenn sie dir in zehn Jahren sagt, dass sie Radfahrerin werden will?
Von tausend Kindern geht vielleicht ein Prozent in den Spitzensport. Die Chance ist gering. Ich würde mich aber freuen, wenn sie sportlich wird, weil das sehr positive Effekte hat.
Inwiefern?
Mit zwölf habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich Radrennfahrer werden will. Ich war aber kein guter Schüler und meine Mutter wollte nicht, dass ich täglich zwei Stunden trainiere. Da habe ich ihr versprochen, mehr zu lernen, wenn ich ein Rad kriege. Was ich natürlich nicht getan habe. In der Schule war ich trotzdem besser. Das kam nur vom Sport. Ich hatte eine Leistungssteigerung, die meine Eltern nie für möglich gehalten hätten.
Glaubst du, dass der Radsport je so sauber wird, wie du es dir als kleiner Bub vielleicht erträumt hast?
Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Es wird immer Probleme geben, weil auch die Anti- Dopingagenturen ein Wirtschaftszweig sind. Im Kampf gegen Doping werden jährlich Millionen um- gesetzt. Da will man gar nicht alle erwischen. Es wird immer ein Katz und Maus-Spiel bleiben.