Leben

Schönheit für Männer

Wenn die Männerrunde, die regelmäßig im Hinterzimmer des Gasthauses Mörk in Wien-Landstraße zusammenkommt, vollzählig ist, dann legt erst einmal jeder sein Messer auf den Tisch. Und manchmal verschwinden gleich sieben oder acht von ihnen gleichzeitig auf die Herrentoilette. Samt ihren Messern. Nein, es handelt sich um keine Truppe von Unterweltlern, sie sind keine Artisten, und es wird auch nicht mit verbotenen Substanzen gedealt. Vielmehr treffen einander etwa 15 seriöse Herren, die allesamt Fans der Nassrasur sind. Und zwar der Rasur mit dem Messer.
Die Gegenbewegung zu Philishave und Brown Sixtant quasi. Da brummt und surrt nichts in der Früh, sondern man hört nur das zarte Schmatzen des Rasierpinsels auf der Haut und ein leises Schaben, wenn die scharfe Klinge des Messers über Kinn und Wange gleitet. Die Zahl der Anhänger dieser Art der Rasur wächst stetig. Auch unter Bartträgern.

Warum das so ist, erklärt Christian Bartos, einer der Begeisterten, die sich tagtäglich selbst das Messer ansetzen: „Hektisch kann man sich nicht rasieren. Deshalb ist das ein wunderbares Entschleunigungsritual.“ Er schwärmt vom „Kurzurlaub im Badezimmer“, bei dem er sich Zeit für sich selbst nehmen und sein eigenes Gesicht bis ins kleinste Detail kennenlernen kann.
Wer sich das nicht selbst zutraut, kann sich auch in die Hände des professionellen Barbiers begeben. Etwa in jene von Arsalan Babapour, der sich von seinen Kunden der Einfachheit halber „Sascha“ nennen lässt und der in einem winzigen Geschäft in der Operngasse ordiniert. Der Barbier mit dem elegant geschwungenen Schal darf, genauso wie seine Profi-Kollegen, allerdings seit einigen Jahren aus Hygienegründen nicht mehr mit dem Messer, sondern nur noch mit der Einwegklinge rasieren. Vorschrift ist Vorschrift in Zeiten von Aids. Trotzdem weiß er: „Es gibt genug Kunden, die sich vor dem ersten Mal fürchten.“ Grundlos natürlich, aber man kann ja nie wissen ...
Deshalb platziert Babapour den Kunden erst einmal bequem auf den roten Ledersessel, dass der seinen Blick unwillkürlich zur Decke richtet. Dort rekeln sich auf einem Gemälde, das den ganzen Plafond einnimmt, drei üppige, gut gebaute Damen. Wenn Sascha dem Bartträger jetzt auch noch ein feuchtes, weiches, heißes Handtuch auf Kinn und Wangen drückt, öffnet das nicht nur die Poren, auch die Nervosität schwindet langsam. Hoffentlich.

In der Zwischenzeit wird der Pinsel – Herr Babapour bevorzugt Schweineborste – in die Schale mit der im warmen Wasser aufgelösten Seifenpaste getunkt. Und das Gesicht von Kollegen Axel, der sich als Rasurmodel zur Verfügung gestellt hat, weiß zugekleistert. Axel ist auch für den Fachmann eine Herausforderung: „Der Bart ist sehr stark, die Haut empfindlich“, konstatiert Sascha. Da könne es schon sein, dass sie „reagiert“ und man nachbehandeln muss. Und für alle Fälle steht die Alaunlösung bereit. Zum Blutstillen.


Der Barbier nimmt Axels Wange in Angriff, Axel fixiert das Damentrio an der Decke. „Die Klinge muss so aufgesetzt werden, dass sie schön rutscht. Sonst brennt es die Haut auf. Der Druck darf nicht zu schwach sein, dann wird die Wange glatt wie ein Kinderpopo.“


Zuerst rasiert Sascha mit dem Strich, danach alles noch einmal gegen den Strich. Dann probiert er mit der Hand, ob alles schön glatt ist und ist zufrieden. Axel ist es auch. Noch. Damit er am nächsten Tag nicht wie ein pubertierender 15-Jähriger aussieht, kommt jetzt die Nachbehandlung. Zuerst ein kühles Handtuch, dann Rasierwasser. „Unfassbar brennert ist das. Wie tausend kleine Nadelstiche“, meint Axel und verzieht das Gesicht. Erst als Sascha ihm mit dem Tuch Luft zuwachelt, entspannt er sich. Herr Babapour, der sein Handwerk im Iran gelernt hat und seit 14 Jahren als „k. u. K. Hofbarbier“ in seinem seit mehr als 150 Jahren existierenden kleinen Salon steht, ist zufrieden. „Der Herr war ein schwieriger Fall. Sehr starker Bart. Deshalb hat es auch 30 Minuten gedauert. Normalerweise bin ich in 15 Minuten fertig.“ Teurer ist die Sache allerdings nicht. 20 Euro ist der Tarif.

Wer selbst Hand anlegen will – und das sind auch Jahrzehnte nach Bruno Kreiskys Aufforderung zum Nassrasieren immer mehr Menschen – braucht die passende Ausrüstung. Das ist eine kleine Wissenschaft, vor allem, was die Messer betrifft. Marga Walcher, Inhaberin von „Esbjerg“, einem Rasierfachgeschäft in der Wiener Krugerstraße, setzt auf Qualität. „70 Arbeitsgänge braucht es, bis ein Messer fertig ist.“ Rohlinge, die so gut wie immer aus dem deutschen Solingen stammen, werden in Meisterbetrieben verarbeitet. „In ganz Deutschland gibt es nur sieben Meister, die wirklich gut sind“, ist sie überzeugt. „Ein Messer ist genauso gut, wie der letzte, der daran gearbeitet hat.“ Die Messer bestehen übrigens aus nicht rostfreiem Stahl, weil Edelstahl sich nicht so scharf schleifen lässt. „Ein vernünftiges Messer kostet von 70, 80 Euro aufwärts“, sagt Andreas Lorenzi, der in seinem Geschäft in der Siebensterngasse in der sechsten Generation Messer verkauft und schleift. Wer die Sache ernst nimmt, kommt mit einem Messer nicht durch. Nach der Rasur sollte ein Messer mindestens 24 Stunden rasten, deshalb meint Christian Bartos, selbst Herr über 115 Messer: „Der Mann von Welt braucht einen Wochensatz.“ Für jeden Tag eines. Damit kann er sich sein Lebtag lang glattrasieren. Dazu gibt es natürlich Zubehör – von der Seifenschale bis zum Pinsel. Ob extraweiche Synthetikborste, feiner Dachszupf oder Schweineborste – Geschmackssache. Dazu ein Lederriemen zum Abziehen des Messers. Wichtig: vor jeder Rasur und immer von der Schneide weg! Die Schleifarbeit am Stein kann man getrost einem Fachmann wie Andreas Lorenzi überlassen.

Doch was hilft das beste Werkzeug, wenn man sich nicht traut, es auch zu verwenden. Zum Einstieg empfiehlt Marga Walcher daher den „Rasierhobel“, mit austauschbarer Klinge, bei dem das Abziehen und Schärfen entfällt. Wie man das klassische Rasiermesser verwendet, bringt sie Interessierten in Workshops bei. Dabei gilt strengstes Ehefrauen- und Freundinnenverbot. Das erhöht die Konzentration. Und für den Anfang gibt sie den Adepten „entschärfte“ Messer in die Hand. Schließlich funktioniert das hier nicht so wie bei den Barbierprofis: Die lernen mit Hilfe eines aufgeblasenen Luftballons, wie sie das Messer aufsetzen müssen. Mit Knalleffekt quasi.


Die meisten Herren sind recht geschickt, bestätigt Walcher. Wenn sie die ersten Hemmungen überwunden haben, „haben sie gleich scharfe Messer verlangt.“ Für den Anfang empfiehlt sich ein Messer mit der Klingenbreite von 5/8 Zoll. „Das ist ein schöner Mercedes“, sagt Esbjerg-Chefin Walcher. „Man muss ja nicht gleich mit dem Rennwagen anfangen.“ Darunter versteht sie das ein Zoll breite 8/8-Messer, dessen Handhabung schon einiges an Geschick erfordert.


Apropos Geschick: Barbier „Sascha“ Babapour wollte nicht für die Pickelfreiheit von Kollegen Axels Wangen garantieren. Dennoch – es hat geklappt: Auch am Tag danach war seine Haut babypopoglatt. Bis auf die frischen Bartstoppeln.

www.esbjerg.com
www.lorenzi.co.at