Thomas Raab über Schreiben
Von Barbara Reiter
freizeit: Herr Raab, wie lautet die Formel für einen Bestseller?
Thomas Raab: Eine schwierige Frage. Vielleicht: Ein Laptop plus Zeit mal Ausdauer ergibt einen Roman. Ob es ein Bestseller wird, kann man nie sagen.
Immerhin haben Sie Mathematik studiert und unterrichtet. Es hätte sein können, dass Sie die Erfolgsformel kennen.
Ich war nie ein begnadeter Mathematiker. Mein Vater hat Mathematik studiert, es aber nicht zu Ende gebracht. Die Beziehung zwischen ihm und mir war angstbesetzt. Er war ein strenger Mann vom Land. Da war es normal, dass man als Kind eine „Tetschn“ bekommen hat. Er war auch jähzornig und roh, trotzdem waren wir Kinder uns seiner Liebe sicher. Aber er war nie der Mensch, der loben konnte. Deshalb wollte ich immer alles richtig machen und es ihm auch mit dem Studium zeigen. Mein Motto war: „Papa, du hast es nicht zu Ende gebracht. Jetzt tu’ ich es.“
Das klingt gar nicht nach Freude.
Ich habe mich durchgequält und zuerst nie verstanden, warum ich Mathematik studiert habe. Das Einzige, was mir gefallen hat, war das Rätselraten. Der Mathematiker ist im Grunde ein fauler Mensch. Er sucht sich eine Bildsprache, die in drei Zeilen darstellt, wofür ein anderer fünf Seiten schreiben muss. Was mir jetzt zum Vorteil gereicht, ist, dass ich Zusammenhänge im Kopf behalte. Aber für den Alltag und die Partnerschaft ist das beschissen.
Sie sind seit 13 Jahren mit Ihrer Frau zusammen und haben zwei gemeinsame Kinder. So schlimm kann es nicht sein.
Meine Frau sagt oft: „Man merkt, dass du Lehrer warst.“ Diese Beleidigung muss ich eben über mich ergehen lassen.
Ihre Frau ist die Schauspielerin Simone Heher, die auch „Frisch gekocht“ im ORF moderiert hat. War es nie schwierig für sie, zu akzeptieren, dass ihr Mann nun statt ihr im Mittelpunkt steht?
Meine Frau hat vor der Geburt unserer ersten Tochter zwei Kinder verloren – eines im frühen, eines im späteren Stadium. Da wird die Sehnsucht größer, aber auch die Angst, zu scheitern. Nach der ersten Tochter gab es wieder Probleme. Dann kam zum Glück auch unsere zweite Tochter gesund zur Welt. Simone wollte Mutter sein und war dafür sicher noch dankbarer als Mütter, bei denen es gleich klappt. Aber als Schauspielerin ist es eine Richtungsentscheidung, schwanger zu werden. Für die Branche bist du dann immer schwanger. Andererseits: Wer hätte garantiert, dass sie Rollen bekommt, wenn sie sich gegen Familie entscheidet?
Zwei der Metzger-Romane, mit denen Sie bekannt wurde, hat die ARD nun verfilmt, zwei weitere folgen. Liegt es nicht nahe, dass Ihre Frau mitspielt?
In den ersten zwei Verfilmungen gab es keine passende Rolle, bei den nächsten beiden würde es sich anbieten und ich hoffe es. Ich habe nicht darauf plädiert, aber von Seiten der Produktion ist es angedeutet worden. Der Wiedereinstieg muss aber auch anders funktionieren als nur über die Beziehungsebene. Simone hat vorher viel gemacht. Es kann nicht sein, dass schauspielende Mütter keine Chance mehr kriegen. Das finde ich zum Kotzen.
Werden Sie oder Ihre Frau in der Öffentlichkeit öfter erkannt? Autoren mutieren ja heute immer mehr zu Popstars.
Eindeutig meine Frau, weil vieles, was Sie im Fernsehen gemacht hat, ständig wiederholt wird. Sie wird heute noch im Supermarkt erkannt. Dann sage ich immer: „Du, die haben dich jetzt erkannt.“ Aber ich werde zum Glück kaum angesprochen.
Viele Mensch wollen ein bisschen Ruhm und Anerkennung. Sie doch sicher auch.
Mir gibt es viel mehr den Kick, wenn ich im Zug sehe, dass jemand eines meiner Bücher in der Hand hat. Das ist toll! Am liebsten würde ich dann hingehen und sagen: „Darf ich Ihnen was reinschreiben? Sie lesen gerade mein Buch.“
Warum haben Sie es noch nie getan?
Weil ich die Anonymität auch genieße. Theoretisch könnte ich mich im Zug aufführen wie ein Saubartl. Denn der, der mein Buch liest, weiß nicht, dass ich der Autor bin. Der Gedanke befreit.
Das könnte sich ändern. Ihr neues Buch „Still“ wird ins Spanische übersetzt, der Metzger ist Februar im Fernsehen zu sehen. Sie haben einen Lauf, oder?
Das ist wie ein Treffer im Lotto. Es kommt nicht oft vor, dass sich andere Länder für deutschsprachige Autoren interessieren. Wenn dann ein Produzent das eigene Buch verfilmt, kann man sich das als Autor gar nicht vorstellen. Ich habe es nie drauf angelegt, weil ich gestern nicht gewusst habe, dass ich heute anfangen werde, zu schreiben. Das kam über mich.
Es heißt, Sie wären aus Fadesse Autor geworden.
2006 hat Simone in München gedreht und ich war alleine zuhause. Da tat sich plötzlich ein großes Zeitfenster auf, weil ich ein Einsiedler bin. Zuerst bin ich an den Abenden ein bissl rumgehangen und habe ferngesehen. Irgendwann war mir das zu fad. Eines Morgens hatte ich die Idee dieses Restaurators im Kopf. Als ich aufgewacht bin, ist Willibald Adrian Metzger plötzlich vor mir gestanden – als hätte er mir auf die Schulter geklopft. Ich habe meiner Frau später davon erzählt. Sie meinte: „Setz dich gleich hin und schreib es auf.“
Das klingt so einfach. Ist es das?
Es gibt Tage, da geht der Mistkübel über und man steigt noch mal mit dem Fuß drauf, weil man zu faul ist, ihn auszuleeren. Dann gibt es Tage, an denen man vor Energie sprüht und alles in zwei Stunden macht. An so einem Tag habe ich begonnen zu schreiben. Sechs Stunden durchgehend, bis ich die ersten acht Seiten hatte.
Ohne Begabung geht so was aber bestimmt nicht.
Ich habe keine Begabung und war immer ein schlechter Deutsch-Schüler. Darum glaube ich auch, dass jeder schreiben kann. Ich habe einfach die Lust daran entdeckt. Schreiben ist keine Kunst. Sitzenbleiben und Durchhalten ist die Kunst.
Es gibt unzählige Bücher, die erklären, wie man Romane schreibt. Haben Sie denn da vorher nicht reingelesen?
Davon halte ich gar nichts. Ich weiß noch genau, wie ich in der Fahrschule beim Fahren um die Kurve jedes Mal die Arme überkreuzen musste. Der Fahrlehrer, dieser Lackaffe, hat mich damals damit fertig gemacht. Als ich später alleine Auto gefahren bin, habe ich das Lenkrad in der Kurve einfach durchrutschen lassen. Jeder muss seine Technik finden.
- Thomas Raab
Welches ist Ihre?
Ich schreibe mir auf einer Pinnwand die Namen von Figuren auf, die im Laufe der Zeit dazukommen – und Dinge, die für die Entwicklung der Geschichte wichtig sind. Zum Beispiel notiere ich mir: „Der Metzger hat einen Nagelzwicker eingesteckt. Den wird er noch einmal brauchen.“ Obwohl ich zu dem Zeitpunkt keine Ahnung habe, wofür. Auf der Pinnwand steht dann einfach: „Nagelzwicker“.
Wenn ich Sie frage, wie man beginnt, ein Buch zu schreiben: Was raten Sie mir?
Es fragen mich ja viele Menschen, wie man das am Anfang mit einem Buch macht. Man sollte das leere Papier nicht als Druck sehen, sondern als Freiflugschein. Man kann hinfliegen, wo man will. Viel wichtiger ist: „Schreib ein Buch fertig.“ Auf den Berg hinaufzugehen, ist anstrengend. Und wenn du oben bist, genießt du zwar den Ausblick, aber erst beim Runtergehen tun dir dann die Füße weh. Wenn das der Fall ist, muss man einfach weitergehen.
Sie meinen damit die Verlagssuche?
Ja. Ich war auch Musiker und habe mit meinem Musik-Manager angefangen, das Buch anzubieten. Wir haben 50 Verlage rausgesucht, die auf Krimis spezialisiert waren, und es verschickt. Der Wunsch nach einem Verlag war da, aber ich habe es nicht drauf angelegt. Ich wollte weitergehen, es war so einladend. Einen Roman zu schreiben, muss man sich leisten können.
Wie lange haben Sie für den ersten Metzger gebraucht?
Sieben Monate. Ich war damals noch Lehrer und hatte daher noch ein Einkommen. Nach der Schule habe ich mich hingesetzt und geschrieben. Anfangs verkaufst du zwischen 3.000 und 6.000 Bücher und dir bleiben pro Buch 1,10 € vor Steuern. Da kannst du den Fensterkitt aussaugen und Nasenrammel fressen. So waren meine ersten drei Jahre. Freunde haben mich gefragt, warum ich den Lehrerberuf aufgebe – was nur eingeschränkt passiert ist. Ich arbeite nicht mehr als Lehrer, habe aber durch Karenzierung noch immer die Möglichkeit, zurückzugehen, als ein Backup.
Lebt es sich als Autor besser?
Ich würde sagen, dass ich mittlerweile knapp über meinem Lehrergehalt liege. Eine Regel unter Autoren besagt: „Unter 300 € liest man nicht.“ Daran halte ich mich. Freunde dachten ja, dass ich mittlerweile einen Chauffeur und dergleichen habe, weil meine Außenwirkung so groß ist. Beim vierten Metzger-Buch habe ich 20.000 Exemplare verkauft. Das ist in der Branche ein Hit. Aber ich habe eine Familie. Das ist kein leichtes Leben und da bin ich nicht der Einzige. Ich weiß auch, dass andere renommierte Autoren kämpfen. Viele leben bescheiden. Aber der Beruf ist so schön, dass man das in Kauf nimmt.
Zum Schreiben gehört auch die Kritik. Wie gehen Sie damit um?
Buchkritiker sind oft extrem g’scheite Menschen. Wenn die mich fragen, warum ich etwas wie gemacht habe, tu ich mir extrem schwer. Ich denke mehr im Nachhinein über das Geschriebene nach als im Vorhinein. Wenn Kritiker oft wüssten, wie sehr das nur eine Geschichte ist, die ich mir eben ausgedacht habe, wären sie wahrscheinlich erschüttert.
Und Kritik von Lesern?
Unlängst hatte ich ein „Meet and Greet“ bei Thalia, für das man sich über Facebook bewerben konnte. Eine Frau hat damals geschrieben: „Ich finde die Bücher von Thomas Raab echt nicht gut und würde gerne mit ihm darüber reden.“ Meine Bücher werden auch verrissen. Es ist eine Glücksfrage, ob du im richtigen Moment in die richtigen Hände kommst und es Buchhändler und Verlage gibt, die dich unterstützen und auf dich setzen.
Wie bekannt sind Sie in Deutschland?
Da kennt mich kein Mensch, weil es dort den Metzger nicht gibt. Dort gibt es zu viele Regionalkrimis. Da war ich zu spät. Aber vielleicht ändert sich das mit den Verfilmungen. Ich habe einmal in Bern in einer Buchhandlung einen einzigen Metzger gefunden. Als ich ihn auf dem Tisch mit den Krimis liegen sah, hab ich mich so gefreut, dass ich ihn gekauft habe.
Haben Sie je daran gedacht, Ihre Erfahrungen als Autor weiterzugeben?
Ich war einmal Gast bei einem Schreib-Seminar. Die Teilnehmer mussten Texte vorlesen, die dann von Dozenten beurteilt wurden. Als ich die Kritik gehört habe, ist mir anders geworden. Es war schlimm, zu hören, was die Leute angeblich falsch gemacht haben. Ich bin das beste Beispiel dafür, dass an solchen Kritiken etwas nicht stimmen kann.
Wurde Ihnen vom Schreiben abgeraten?
Als mein erster „Metzger“ fertig war, hat meine Schwester ihn einem Studienkollegen gegeben, der auf der Germanistik arbeitet. Das Buch war bis auf den Titel so, wie man es heute kaufen kann. Der Germanist riet mir damals schleunigst zu einem Schreibseminar, weil er die ganzen Schachtelsätze unmöglich fand. Er attestierte dem Roman viele Schwächen und hat das Buch vernichtet.
Die Moral aus der Geschichte?
Das soll jetzt kein Angriff sein. Aber es sagt aus, dass es völlig unbedeutend ist, was irgendein Wissenschaftler oder sonst jemand sagt. Deshalb würde ich nie ein Schreibseminar geben, sondern maximal ein Seminar mit dem Titel: „Hab’ Mut zu deiner Stimme und der Freiheit in dir“. Oder einfach: „Scheiß dich nix“.
Sie haben vor einigen Wochen Ihren neuen Roman „Still“ veröffentlicht. Hat man da noch Wünsche, außer, dass sich der Roman gut verkauft?
Natürlich möchte ich das, aber noch viel mehr wünsche ich mir, dass meine Frau wieder arbeiten kann. Aber das dürfen S’ nicht schreiben.
Warum denn nicht?
Das klingt nach einem Schmalzbruder. Deshalb wünsche ich mir nur eines: Dass ich vor meinen Kindern sterben darf.
Thomas Raab, 44, wurde 1970 in Wien geboren. Er studierte Mathematik und Sport und unterrichtete danach als Lehrer an einem Gymnasium. Raab war in jungen Jahren auch künstlerisch aktiv, arbeitete als Pianist und komponierte Lieder. Mit einigen schaffte er es auch ins Radio. Seit 2007 hat er sechs Romane der Metzger-Krimi-Reihe auf den Markt gebracht und sich damit einen Namen als Autor gemacht. Zwei „Metzger“-Bücher wurden nun fürs Fernsehen verfilmt und werden am 12. und 19. Februar im ORF und der ARD zu sehen sein. Damit erhofft sich Raab auch den Durchbruch in Deutschland. Er kann mittlerweile vom Schreiben gut leben und hat nun seinen siebten Roman „Still“ veröffentlicht. Der Autor ist mit der Schauspielerin Simone Heher verheiratet. Mit ihr hat er zwei Töchter.