Andrea Sawatzki über Vergangenheitsbewältigung
Von Barbara Reiter
freizeit: Frau Sawatzki, Sie waren bis 2009 Tatort-Kommissarin. Der Tatort gilt als Prestige-Serie. Selbst Til Schweiger wurde Kommissar. Haben Sie Ihren Ausstieg je bereut?
Andrea Sawatzki: Nein, gar nicht, mir ist einfach fad geworden. Nach neun Jahren fand ich, dass es genug war.
In letzter Zeit sieht man Sie weniger im Fernsehen. Woran liegt das?
Grundsätzlich wird es immer schwieriger, gute Rollen zu finden. Meine Sehnsucht wäre, eine Rolle zu finden, die mich wirklich fordert und erschöpft.
Welche Rolle könnte das sein?
Das weiß ich noch nicht. Aber es könnte so eine Rolle sein, wie die Frau im Buch, das ich heuer veröffentlicht habe.
Sie sprechen von „Ein allzu braves Mädchen“, die Geschichte eines Mädchens, deren Vater an Alzheimer erkrankt ist. Auch Ihre Lebensgeschichte ist so verlaufen. Wie autobiografisch ist Ihr Debütroman?
Ich glaube, man kann gar keine Bücher schreiben, ohne eigene Erfahrungen einfließen zu lassen.
Trotzdem haben Sie in Interviews verneint, dass Sie die Protagonistin sind, obwohl sie auch rote Haare hat. Warum sagen Sie nicht einfach: In diesem Buch geht es um mich und meine Geschichte?
Das ist eine müßige Frage. Was ändert es denn im Blick auf mich? Wenn Menschen dann wissen, dass ich all das erlebt habe, bleibe ich ja trotzdem ich. Diese Neugierde ist für mich einfach nicht nachzuvollziehen.
Fakt ist, dass Sie sich mit der Krankheit Alzheimer gut auskennen.
Ich habe von acht bis 14 Jahren auf meinen alzheimerkranken Vater aufgepasst. Diese Erfahrungen habe ich verfremdet und auf andere Menschen übertragen.
Heute ist Alzheimer enttabuisiert. Wie war das damals?
In den 80er-Jahren war das Thema total Tabu. Man hat sich eher geschämt, wenn die Krankheit in der Familie aufgetreten ist. Es gab keine Hilfe von außen und auch von Seiten der Nachbarn gab es nicht wirklich Verständnis. Dadurch kapselt man sich automatisch ab. Auch von Medikamenten und finanzieller Unterstützung war damals noch keine Rede.
Was waren die schwierigsten Herausforderungen?
Ich finde ja, diese Krankheit wütet. Man kann die Betroffenen nicht alleine lassen. Sie schlafen auch nicht mehr und sind ununterbrochen in Todesangst und auf der Suche nach sich selbst und einem Wiedererkennen. Einen Alzheimerkranken zu pflegen, ist schon ein 24-Stunden-Job.
Sie waren damals ein Kind. Wie verändert einen so eine Aufgabe als Mensch?
Ich möchte hier nur für meine Romanfigur Manuela Scriba sprechen. Sie hat funktioniert und versucht, ihre Mutter zu unterstützen. Ich glaube, dass es für die meisten Kinder in familiär extrem problematischen Situationen keine andere Wirklichkeit, außer die der eigenen Familie gibt. Sie schauen nicht nach links und rechts und wollen nur das Beste geben.
Die Kindheit bleibt dabei wohl auf der Strecke.
Bei Manuela Scriba war es so, dass sie jahrelang ihre Kindheit verleugnet hat. Sie hatte in der Zeit mit dem Vater eine große Schuld auf sich geladen.
Sie sprechen von Schuldgefühl. Woher kommt es?
Die Unruhe, Aggression und das Unausgeglichene bei Alzheimerpatienten beginnt ja lange, bevor es mit der Krankheit los geht. Das weiß man vor allem als Kind natürlich nicht und bezieht das Verhalten des Kranken auf sich. So entsteht Schuld. Denn der Erwachsene macht in den Augen des Kindes ja immer alles richtig. Für ältere Menschen wiederum muss es furchtbar sein, wenn einen der Partner, mit dem man lange glücklich war, langsam vergisst.
Haben Sie für Ihr Buch recherchiert oder haben Ihnen die eigenen Erlebnisse als Hintergrund genügt?
Die Erinnerung war noch sehr stark. Ich habe aber noch einmal mit Psychologen gesprochen. Mir war nicht klar, ob Pflegende so ein Ereignis einfach ausblenden können und versuchen, normal weiterzuleben. Das geht zwar, aber wenn man es tut, ist es schwierig, Freude am Leben zu empfinden. Das Schuldgefühl bleibt. Das habe ich auf Lesereisen im Gespräch mit Menschen erfahren. Wenn sie in der Kindheit etwas Schlimmes erlebt haben, bleibt ein Schatten auf ihrem Leben. Sie bleiben immer irgendwie isoliert.
Ihr Soloprogramm, bestehend aus Lyrik und Liedern, mit dem Sie im Herbst in Deutschland auf Tour sind, hat den Titel „Irgendwas ist immer“. Sind Sie ein eher pessimistischer Mensch?
Ich würde mich schon als Melancholiker und Sanguiniker bezeichnen. Ich mag auch melancholische Lieder, Bücher und Geschichten. Und im Leben kommt keiner zur Ruhe. Irgendwo öffnet sich immer eine Türe und es prasselt wieder etwas auf einen herein. Irgendwas ist immer.
Das Buch, das Soloprogramm: Wann werden wir Sie wieder auf dem Bildschirm sehen?
Kino ist gerade schwierig, weil wenig produziert wird. Es wird wohl wieder etwas im TV werden. Was, wird sich zeigen.
Sie haben einmal gesagt, Sie hätten zu viele TV-Rollen angenommen, um im Kino durchzustarten. Tut Ihnen das leid?
Ich kam vom Theater und wollte einfach in Übung bleiben. Und dazu habe ich einfach alles angenommen, auch kleinste Rollen. Da kann es schon sein, dass man irgendwann den Ruf eines schauspielerischen Gemischtwarenhandels bekommt. Man ist also für die Menschen, die einen fürs Kino besetzen, schwer einzuschätzen. Vielleicht habe ich mich aus Lust am Schauspiel zu sehr ausgeliefert.
Würden Sie es heute anders angehen?
Vielleicht. Andererseits bereue ich nichts, weil ich dadurch auch sehr viel gelernt habe. Ich kann Komödien genauso spielen wie Dramen oder psychologische Filme.
Welchen Tipp haben Sie für Jungschauspieler?
Ich denke schon, dass es besser ist, wählerisch zu sein und ein halbes Jahr auf die nächste Hauptrolle zu warten. Für mich war das kein Weg, weil ich ruhelos war und mich beschäftigen musste. Vielleicht, um auch nicht ständig mit mir alleine zu sein. Ich würde jungen Schauspielern auch raten, viel zu lesen, um Stoffe zu finden, die man gerne verfilmen würde. Und dann muss man sich mit den richtigen Leuten zusammensetzen. Nicht daheim sitzen und Däumchen drehen, sondern selbst aktiv werden. Das ist mein Tipp.
Die meisten Schauspieler lassen irgendwann einmal mit einem Skandal aufhorchen. Hätten Sie nicht selbst auch einmal Lust dazu gehabt?
Das ist mir zu langweilig. Ich finde das Leben zu interessant, als es für Oberflächliches zu verschwenden. Ich brauche die Zeit für meine Interessen. Ich liebe Kunst und mein Mann und ich gehen wahnsinnig auf in der Erziehung unserer Söhne. Das ist eigentlich unser Lebenswerk. Da hat man keine Zeit für so was.
Ihr Mann ist der Schauspieler Christian Berkel, mit dem Sie eine Bilderbuchehe führen.
Ja, das ist manchmal sehr merkwürdig. Einerseits gönnen uns viele unser Glück, andererseits heißt es manchmal: Die beiden sind wie Tim und Struppi und hängen immer zusammen. Aber was sollen wir machen? Wir sind halt ein Paar.
Nun ist mir doch noch ein kleiner Skandal eingefallen. Sie hatten einmal bei Wetten, dass..? ein ziemlich üppiges Dekolleté.
Das hat mich damals wahnsinnig geärgert, weil es nicht beabsichtigt war. Ich hatte das Kleid auf Augenhöhe probiert. Die Kamera hat dann immer von oben gefilmt und ich habe halbnackt ausgesehen. Eigentlich wollte ich über die Möbelkollektion von mir und meinem Mann sprechen. Das ist mir dann allerdings nicht mehr gelungen.
Info: www.andrea-sawatzki.de