Leben

Alt Wien mit Patina

Wo viel Schatten ist, muss auch Licht sein. In Nussdorf, Heiligenstadt und Grinzing, für die Schriftstellerin Hilde Spiel „Die Dörfer unterm Himmel“, haben Spekulanten und Bausünder deutlich sichtbare Spuren hinterlassen.
Verwahrlost ist die Villa Ast in der von Josef Hoffmann geplanten Künstlerkolonie auf der Hohen Warte, in den 1930er-Jahren das Domizil von Wiens berühmtester Femme fatale Alma Mahler-Werfel. Das in jedem Architekturführer verzeichnete Baujuwel steht zwar unter Denkmalschutz, wird aber vom Eigentümer, dem Königreich Saudi-Arabien, schon lange nicht mehr genutzt.
Ganz in der Nähe ein Lichtblick: Aus dem Dornröschenschlaf erwacht gerade auf der Hohen Warte 19 die feudale Villa Rittershausen – auch bekannt als Villa Louise, benannt nach der Hofopernsängerin Louise von Ehrenstein – gegenüber der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik: Das prächtig ausgestattete Palais der sonst auf Theater- und Konzerthäuser spezialisierten Architekten Fellner & Helmer aus den 1870er-Jahren wird derzeit privat aufwendig saniert.
Nur einen Steinwurf entfernt: Wo einmal die sogenannte „Präsidentenvilla“ stand, war jahrelang nur Wiese – eine Lücke, die ins Auge fiel wie der fehlende Schneidezahn in einem breiten Lächeln. Jetzt werden auf dem Areal, wo früher Bäume standen, Luxus-Apartments errichtet.
Nichts erinnert mehr daran, dass dort vor Jonas, Kirchschläger, Waldheim und Klestil ein gefragter Ausstatter für den kaiserlichen Hof, Adel und Großbürgertum gewohnt hat:

Josef von Storck vollendete das Interieur der Hofoper etwa im Teesalon – vormals „Kaisersalon“ – zwischen Feststiege und Mittelloge. „Auch mit unserer Firma Lobmeyr hat er viel gemacht“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Leonid A. Rath des heute in sechster Generation als Familienbetrieb geführten Unternehmens in der Kärntner Straße. Doch Storcks Glanzstück, das „Kaiserservice“, ist in Vitrinen der Silberkammer in der Hofburg zu sehen.
An manchen Stellen wird der grüne Hügel in Döbling doch noch zu einem Rendezvous mit Alt-Wien an der Peripherie: Wo Sigmund Freud 1933 auf Sommerfrische war, als in Deutschland bereits seine Bücher verbrannt wurden. Der Psychoanalytiker druckte eigens Briefpapier mit der Adresse Hohe Warte 46 und behandelte dort sogar Kranke. So schrieb ihm seine Tochter Anna: „Lass dich nicht von Patienten quälen, und lass nur alle Millionärinnen ruhig verrückt bleiben, sie haben doch sonst keine Beschäftigung.“
Nur ein paar Jahre später, nach dem „Anschluss“ Österreichs, wohnten in der Nobelgegend die Gauleiter von Wien: Josef Bürckel, der wegen seiner Liebe zum Alkohol den Spitznamen „Bierleiter Gauckel“ hatte, und Baldur von Schirach, der später beim Nürnberger Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Und auf seinen Grabstein schreiben ließ: „Ich war einer von euch.“ Mit den Satrapen Hitlers kam auch die militärische Elite: Generalfeldmarschall Wilhelm List – sogar am Cover der „Time“-Ausgabe vom 24. März 1941, drei Wochen, bevor Hitler zur Titelgeschichte des amerikanischen Nachrichtenmagazins wurde – zog als ranghöchster Offizier, später als Kriegsverbrecher verurteilt, in die Wallmodengasse 5.
Dort war davor ein Vertrauensmann von Kaiser Franz Joseph zu Hause: Erich von Kielmansegg, 22 Jahre lang Statthalter von Niederösterreich. Heute residiert an dieser Adresse der japanische Botschafter.
Vieles wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört: Maria Polsterer-Kattus erinnert sich noch gut an die Ruine der Villa mit dem Atelier des Hofmalers Franz Matsch, dessen Ankeruhr am Hohen Markt 12 jeder kennt, in der Haubenbiglgasse: „Das war mir als Kind immer sehr unheimlich.“
Von den legendären Rothschild-Gärten ist nur noch das Portierhäuschen übrig. Hier hat auch der First Vienna Football Club seinen Ursprung, der 1894 gegründete und somit älteste Fußballverein Österreichs – mit den Vereinsfarben, die einst die Wappenfarben des Hauses Rothschild waren: blau-gelb.
„Volksfest Jeritza“, titelte das „Neue Wiener Journal“ nach dem Open-Air-Konzert von Maria Jeritza vor 30.000 Zuhörern zum Auftakt der Wiener Festwochen am 4. Juni 1932 in der großen Sportarena auf der Hohen Warte, wo auch die Kunst zum Volksfest wurde. Sie war ein Naturereignis. Und ihr vielleicht größter Fan, Opernverführer Marcel Prawy, schwärmte: „Nimm die Marilyn Monroe, die Birgit Nilsson und die Paula Wessely zusammen, dann hast du ein Viertel der Jeritza.“