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Zwischen Faszination und Provokation: Fotografie-Ausstellung Helmut Newton Legacy

Zugegeben: Obwohl ich nun schon seit bald 10 Jahren im Kunst-Mekka Wien wohne, habe ich bisher nur eine Handvoll Museen von innen gesehen. Bei der Frage, wer aus dem Team ins Bank Austria Kunstforum Wien gehen möchte, wollte ich mich schon unter dem Schreibtisch verstecken, bis mein Kollege mich mit einer Frage aufhören ließ: „Ist das nicht der, der vorwiegend nackte Frauen fotografiert hat?“ Damit hatte er nicht ganz unrecht. Der deutsch-australische Fotograf Helmut Newton, dessen Werke aktuell im Rahmen der Retrospektive „Helmut Newton Legacy“ im Bank Austria Kunstforum Wien ausgestellt werden, ist vor allem für seine zu damaligen Zeiten skandalösen Aktfotografien bekannt. Doch ihn nur damit in Verbindung zu bringen, wäre weit verfehlt - denn bei der Ausstellung gab es so viel mehr zu sehen.

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Ich bin ein professioneller Voyeur.

Helmut Newton

Wer ist Helmut Newton?

Sexist oder Feminist – das ist eine der großen Fragen, die sich um Helmut Newton ranken. Eines ist er aber mit Sicherheit: einer der faszinierendsten und gleichzeitig provokantesten Fotografen unserer Zeit. Der 1920 in eine jüdische Familie geborene gebürtige Berliner fand schon früh seine Leidenschaft für die Fotografie und brach im Alter von 16 Jahren das Gymnasium ab, um eine Lehre bei der ebenfalls renommierten Berliner Fotografin Yva zu machen. 1938 flüchtete Newton über Singapur nach Australien, wo er 1945 sein erstes Fotostudio in Melbourne eröffnete. Dort lernte er auch seine Frau June kennen, die seine Passion für Fotografie mit ihm teilte und unter dem Pseudonym Alice Springs selbst fotografisch aktiv war. Sie hatte großen Einfluss auf Newton und begleitete ihn oft bei Shootings. Von da an nahm Helmut Newtons Karriere Fahrt auf und entwickelte sich vor allem durch seine Modefotografien für Magazine wie Queen, Vogue oder Elle. Erst später in den 80er Jahren wandte sich Newton der Aktfotografie zu, die bis heute ikonisch ist.

Halten Sie während Ihres Ausstellungsbesuchs die Augen offen, dann können Sie June Newton sogar in einem der Bilder entdecken!

Was gibt es in der Ausstellung zu sehen?

„Hier im Eingangsbereich befinden sich die wichtigsten Werke der Sammlung“, erklärt uns Evelyn Benesch, Kuratorin des Bank Austria Kunstforum Wien. Und es stimmt: Mein Blick fällt als erstes geradeaus auf die Wand zwischen zwei Marmorsäulen, wo zwei der bekanntesten Modefotografien aller Zeiten aus der französischen Vogue hängen. Der lebensgroße Abzug „Rue Aubriot“ in Schwarzweiß zeigt eine Frau in einem Yves-Saint-Laurent-Hosenanzug. Sie hat kurze, zurückgekämmte Haare, sieht androgyn und unnahbar aus und steht rauchend in der dunklen Pariser Gasse, die namensgebend für das Bild war. Direkt daneben befindet sich ein zweites, gleich großes Bild mit derselben Frau. Nur ist sie auf diesem nicht allein: Eine völlig nackte Frau, lediglich mit High Heels und einer Kopfbedeckung bekleidet, schmiegt sich an die Frau im Smoking. Schnell ist klar, warum dieses Bild nach Veröffentlichung der Vogue im September 1975 Wellen geschlagen hat: Die beiden sehen nicht aus wie Freundinnen – es scheint eher eine Romanze zu sein. Obwohl eigentlich nicht viel zu sehen ist, könnte ich das Bild stundenlang ansehen, denn es erzählt eine Geschichte.

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Ich beobachte auf der Straße, überall. Wenn mich etwas anzieht, schreibe ich es auf und versuche, die Szene zu rekonstruieren.

Helmut Newton

So sei es mit den meisten Fotos Newtons, erklärt Evelyn Benesch. Seine Werke sind inspiriert von realen Situationen, das Objekt der Begierde muss in den Bildern oft erst gesucht werden. Nachdem ich meinen Blick endlich von „Rue Aubriot“ lösen kann, geht es chronologisch weiter. Der nächste Raum widmet sich vorwiegend Modefotografien, bei denen die Frauen in theatralischen Settings inszeniert wurden, die von surreal bis exzentrisch reichen. Obwohl wir erst im zweiten Saal der Ausstellung sind, stelle ich schnell fest, dass Frauen definitiv im Fokus von Newtons Schaffen stehen. Der nächste Raum soll mir das nochmal bestätigen: Vier schwarzweiße Abzüge von lebensgroßen Frauen hängen an der Wand. Von der Haltung her erinnern sie an Modefotografien – bis auf den kleinen Unterschied, dass die Damen komplett nackt sind. Der Name der Bildserie könnte nicht passender sein: „Big Nudes.“

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Auch auf der gegenüberliegenden Seite erwartet uns viel nackte Haut. Die ebenfalls in den 80er Jahren entstandenen Bilder „Naked and Dressed“ zeigen eine Gruppe von Frauen. Während sie auf dem einen Bild modische Outfits tragen, sieht man sie auf dem anderen Bild in exakt der gleichen Pose, jedoch komplett nackt. Es liegt auf der Hand, dass diese Werke zur damaligen Zeit nahezu skandalös gewesen sein müssen – vor allem, weil diese nicht im Playboy (für den Helmut Newton durchaus auch einige Bildserien geschossen hat), sondern in der Vogue erschienen sind. In die Inszenierung der Bilder habe Newton immer sehr viel Zeit investiert, verrät Evelyn Benesch. Dafür habe er seine Bilder im Nachhinein nie retuschiert. Davon könnten sich einige FotografInnen heute noch ein Scheibchen abschneiden, denke ich mir. 

Im weiteren Verlauf der Ausstellung sehe ich noch viele weitere wunderschöne Bildnisse von Frauen, angezogen, halbnackt und nackt. Komplettiert wird die Retrospektive Helmut Newton Legacy von einigen Portrait-Aufnahmen, unter anderem von bekannten männlichen Gesichtern wie Andy Warhol, Mick Jagger, oder Karl Lagerfeld. Die Sammlung der Helmut Newton Foundation Berlin beinhaltet aber auch Polaroid-Fotos, die Newton seit den 70er Jahren gerne als Ideenskizzen hergenommen hat, sowie Aufnahmen für namhafte Labels wie Blumarine oder Bulgari. Sie dürfen sich freuen, denn die Ausstellung zeigt nicht nur die polarisierendsten Werke, sondern auch bis dato nicht gezeigte Arbeiten Newtons.

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Fazit zur Ausstellung

Sexist oder Feminist? Dass Newton mit seinen Fotografien provozieren wollte, liegt auf der Hand. Auch heute noch testen sie die gesellschaftlichen Grenzen und regen zum Nachdenken an. Doch obwohl die Bilder meist der Perspektive des „Male Gaze“ folgen, die Frauen oft nackt oder in erotischen Posen abgelichtet wurden und nahezu immer dem gängigen Schönheitsideal (schlank, vollbusig, makellos) entsprechen, empfinde ich sie nicht als sexistisch. Eher im Gegenteil: Die Models in seinen Werken strahlen eine so enorme Stärke, Handlungssicherheit und teilweise sogar Aggressivität aus, dass sie es gar nicht zulassen, zum Objekt gemacht zu werden. Müsste ich mich also entscheiden, würde ich die Arbeiten Newtons als eine Art „Female Empowerment“ interpretieren. Vielleicht ist es auch einfach eine Hommage an das weibliche Geschlecht – ich möchte es jedenfalls glauben.

Frauen sind in jeder Situation so viel stärker als Männer. Das glaube ich wirklich. Ich bewundere Frauen sehr.1

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Ort
Bank Austria Kunstforum Wien
Freyung 8
1010 Wien

Ausstellungszeitraum
19.10.2022-15.01.2023

Kontakt
T: (+43 1) 537 33 26
E: office@kunstforumwien.at

Weitere Infos zur Ausstellung finden Sie hier.

1 Übernommen aus dem Original in Englisch: „Women are so much stronger than men in whatever situation. I really believe this. I greatly admire women."