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Zwei Einbäume an Land

Lange bevor das Rad erfunden wurde, war der Einbaum des Menschen Transportmittel erster Wahl. Archäologischen Funden zufolge beherrschten Menschen bereits in der Mittelsteinzeit, also etwa 8000 bis 4200 vor Christus, die Kunst, einen Baumstamm so auszuhöhlen, dass sich damit Gewässer befahren und Güter transportieren ließen. Diese zum Teil mit Sitzgelegenheiten gearbeiteten Boote waren auch an den einstigen Pfahlbau-Dörfern des Bodensees vertäut. Deren gut erhaltene Überreste liegen heute am Seegrund, und 2011 wurden sie zum UNESCO Weltkulturerbe der Menschheit erklärt.

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Als man das zugehörige Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen jüngst einer Modernisierung unterzog, waren es die Einbäume, die zur Formgebung des Neubaus inspirierten.

Am Anfang war die Metapher

„Zwei Einbaum-Boote werden an Land gezogen und umgedreht, um die mitgeführte Ausrüstung vor der Witterung zu schützen.“ Diese Metapher haben a+r Architekten auf den Erweiterungsbau des Museums übertragen. So sollen am Gelände zwei Langhäuser mit holzgedeckten Satteldächern entstehen, die überdimensionale Einbäume symbolisieren. Das erste der beiden Häuser hat im Juni 2024 seine Tore geöffnet. Und um die Metapher zu Ende zu denken: Bei der mitgeführten Ausrüstung handelt es sich um die zahlreichen Originalfunde des Pfahlbauseums, das den stolzen Titel „ältestes archäologisches Freilichtmuseum Europas“ trägt.

Durch die allseitige Verkleidung mit Eichen-Kanthölzern ordnen sich die Neubauten wie selbstverständlich den Pfahlbauten zu.

a+r Architekten

Eröffnet wurde das Museum 1922, nachdem der Verein Pfahlbau und Heimatkunde e.V. gemeinsam mit der Universität Tübingen die ersten Pfahlbau-Rekonstruktionen errichtet hatte. Heute können Besucherinnen und Besucher durch drei stein- und bronzezeitliche Dörfer über dem Wasser spazieren und dabei Wohnhäuser, Ställe, Werkstätten und eine Dorfhalle erkunden.

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Einen virtuellen Tauchgang zu den versunkenen Spuren dieser Siedlungen kann man im Bestandsbau erleben, während der neue Erweiterungsbau mit zahlreichen Gegenständen aufwartet, die man vom Grund des Bodensees geborgen hat. So werden im Pfahlbaumuseum an die 10.000 Jahre Menschheitsgeschichte aufgerollt.

10.000 Jahre Holzbau

Was die Pfahlbauten der Vergangenheit und den neuen Museumsbau abseits der inhaltlichen Thematik miteinander verbindet, ist der Baustoff Holz. Während man in der Stein- und Bronzezeit vorwiegend mit ganzen Baumstämmen baute, kommen in den Neubauten die modernen Hightech-Materialien zum Einsatz. Das kreuzverleimte Brettsperrholz für die Außenwände, das hoch belastbare Brettschichtholz für die Stützen und Träger der Konstruktion.

Die Holzkonstruktion der Neubauten erlaubt ein hohes Maß an Vorfertigung mit entsprechend kurzen Bauzeiten.

a+r Architekten
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Die Besucherhalle, die sich beim Betreten des Museums jetzt auftut, lenkt den Blick auf die eindrucksvolle Dachkonstruktion, die sich aus weit gespannten Fachwerkrahmen zusammensetzt. Geschosshohe Verglasungen an der Stirnseite und rhythmisch platzierte Oberlichter versorgen den Ausstellungsbereich mit viel Tageslicht. "Die Holzkonstruktion der Neubauten erlaubt ein hohes Maß an Vorfertigung mit entsprechend kurzen Bauzeiten“, fassen a+r Architekten die bautechnischen Vorteile des Holzbaus zusammen.

Auch von außen sollen die neuen Baukörper mit der einheitlichen Holzfassade ein stimmiges Bild ergeben und eine gestalterische Brücke zu den rekonstruierten Pfahlbauten des Freilichtmuseums schlagen. In der Projektbeschreibung heißt es dazu: „Durch die allseitige Verkleidung mit Eichen-Kanthölzern ordnen sich die Neubauten wie selbstverständlich den Pfahlbauten zu.“

Unter und über dem Wasser

Im über 1.000 Quadratmeter großen Erdgeschoss lassen sich Originalfunde wie eine steinzeitliche Kopfbedeckung und eine bronzezeitliche Holzschale inklusive Schöpflöffel bestaunen.

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Dass diese Gegenstände Jahrtausende unter Wasser überlebt haben, ist der Schlammschicht am Grund des Bodensees zu verdanken. Unter Sauerstoffabschluss wurden die Funde hier bestens konserviert.

Der Einbaum, der über dem Eingangsbereich schwebt, markiert die unsichtbare thematische Trennlinie der beiden Vermittlungsebenen: Während sich das Erdgeschoss den Exponaten widmet, die man aus den Tiefen des Sees geborgen hat, wirft das Obergeschoss einen Blick auf die gelösten und ungelösten Rätsel der Pfahlbaukunst.

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Mit rund 60 Beschäftigten, 23 rekonstruierten Pfahlbauhäusern und rund 300.000 Besuchern jährlich zählt das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen zu den bedeutendsten Freilichtmuseen Europas. Mit der beeindruckenden Museumserweiterung in Holzbauweise schafft es eine weitere Attraktion und lässt den Jahrtausende alten Holzbau souverän in der Gegenwart ankommen.

Text: Gertraud Gerst Fotos: a+r Architekten, Werner Huthmacher, Pfahlbauten/M. Schellinger, Pfahlbauten/F. Müller

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