Vereint im großen Ring
Eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Kyoto ist Kiyomizu-dera, ein knapp 400 Jahre alter Tempel in Holzbauseise. Von seiner 13 Meter hohen Bühne genießt man einen spektakulären Ausblick über die alte Kaiserstadt auf der japanischen Hauptinsel Honshū. Das Tragwerk ist nach der Baumethode Kakezukuri errichtet, die traditionell bei Hanglagen zur Anwendung kam.
Dabei sind die Stützen durch hölzerne Holme (Japanisch: Nuki) gesichert. Man kann sich das am besten als dreidimensionale Sprossenleiter im großen Maßstab vorstellen. Eine Bauweise, die ganz ohne Nägel oder andere metallische Verbindungen auskommt.
Größte Brettschichtholzkonstruktion der Welt
Auf diese Bauweise beruft sich auch der international renommierte Architekt Sou Fujimoto bei seinem Bauwerk für die Weltausstellung 2025, die am 13. April in Osaka eröffnet wird. Das Expo-Gelände befindet sich auf der künstlichen Insel Yumeshima in der Bucht von Osaka. Teils auf der Insel, teils auf dem Wasser erbaut, verbindet der sogenannte Grand Ring jene traditionelle japanische Holzbautechnik mit den leistungsstarken Holzwerkstoffen der Gegenwart. Es entsteht eine Fusion aus Alt und Neu, die jeweils das Beste aus den unterschiedlichen Epochen miteinander vereint.
Die gigantische ringförmige Konstruktion, die das gesamte Expo-Gelände umspannt, besteht aus industriell gefertigtem, mehrlagigem Brettschichtholz.Mit einem Durchmesser von mehr als 600 Metern und einem Umfang von zwei Kilometern handelt es sich bei dem Bauwerk um die derzeit größte Brettschichtholzkonstruktion der Welt.
Der Baustoff der Zukunft
Gemäß dem Thema der kommenden Weltausstellung "Designing Future Society for Our Lives"liegt der Fokus auf Nachhaltigkeit und ein Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Dass die Wahl des Baumaterials auf Holz fiel, ist also nicht nur der über 1000-jährigen Geschichte des japanischen Holzbaus zu verdanken, sondern auch seiner Eigenschaft als CO2-Senke.
Wir sind fest davon überzeugt, dass Holzarchitektur die nachhaltige Architektur der Zukunft ist.
Sou Fujimoto, Architekt
Für Sou Fujimoto besteht an der Nachhaltigkeit des Naturbaustoffes kein Zweifel: „Wir sind fest davon überzeugt, dass Holzarchitektur die nachhaltige Architektur der Zukunft ist. In Japan, wo mit dem Horyu-ji-Tempel das älteste Holzgebäude der Welt steht, kann die Verknüpfung von alter Tradition und moderner Technologie zeigen, wie Holzarchitektur in der Zukunft aussehen wird.“
Die Zukunft ist primitiv
Am Grand Ring der Expo 2025 sind nicht nur die Abmessungen außergewöhnlich, auch die Architektursprache Fujimotos setzt auf eine neue Verständigung zwischen Mensch und Raum. In seiner theoretischen Schrift „Primitive Future“ hat der 53-jährige Architekt 2008 die Grundlagen seiner Architektur niedergeschrieben. Ausgangspunkt seines Denkens ist die Höhle, die Urform menschlicher Behausung. Ein roher Raum, dessen Funktion einzig und allein durch das menschliche Verhalten bestimmt war.
Fujimoto dekonstruiert unsere etablierten Vorstellungen von der gebauten Umwelt und bricht sie – im übertragenen Sinn – auf ihre Grundfeste herunter. In seinem Streben nach der Auflösung des physikalischen Raums sind die Gegensätze von Innen und Außen aufgehoben, Stockwerke und Trennwände nur mehr vergessener Ausdruck einer räumlichen Schwerfälligkeit. Seine Wohnhäuser sind wie die Zweige eines Baumes in terrassierte Bodenelemente eingeteilt, die räumliche Dichte erzeugen und das gleichzeitige Erleben unterschiedlicher Wohnsituationen erlauben.
Wenn es uns also gelingt, eine Architektur in der Art eines Waldes zu schaffen, wird sie die bisherige Architektur und die bisherigen Städte an Komplexität und Vielfalt übertreffen.
Sou Fujimoto, Architekt
Ein idealer Ort, wie er ihn in seinen Überlegungen heranzieht, ist für ihn der Wald: „Wenn es uns also gelingt, eine Architektur in der Art eines Waldes zu schaffen, wird sie die bisherige Architektur und die bisherigen Städte an Komplexität und Vielfalt übertreffen“, so heißt es in „Primitive Future“. Dabei ist die Zukunft, die Fujimoto in dem Pamphlet zeichnet, natürlich nicht primitiv im Sinne von „armselig“, sondern in der Bedeutung eines ursprünglichen Zustands.
Ein Raumgefühl wie im Wald
Der Wald als assoziativer Bezugspunkt lässt sich im Grand Ring durchaus ablesen. Die 12 bis 22 Meter hohe Ringkonstruktion überspannt eine 60.000 Quadratmeter große Fläche, die weder dem Innen- noch dem Außenraum zuzurechnen ist. Die Passage, die sich auf Bodenniveau ergibt, ist eine Art Zwischenraum. Geschützt vor den Elementen, können die Besucherinnen und Besucher der Expo hier von einem Bereich zum nächsten flanieren. Das Licht, das durch die hohe Holzgitterkonstruktion fällt, hat Ähnlichkeiten mit dem Licht im Wald, das durch die Baumkronen fällt.
Die einzelnen Holzbauelemente des 30 Meter breiten Rings bestehen aus 420 x 420 mm und 210 x 420 mm starken BSH-Pfosten und -Trägern. Am begehbaren Dach entsteht ein Skywalk, der vielfältig bepflanzt ist und Ausblicke über Osaka, Kobe und das Seto-Binnenmeer bietet.
„Diese Dachkonstruktion aus Holz ist Teil der Haupterschließung des Expo-Masterplans, bietet spektakuläre Erlebnisse und schützt die Besucher gleichzeitig vor Regen und starker Sonneneinstrahlung“, heißt es vonseiten Sou Fujimoto Architects.
Bei einer Weltausstellung kommen Menschen aus den unterschiedlichsten Nationen zusammen. Dabei findet ein Austausch statt, der von einem hohen Maß an Diversität geprägt ist. Auf die Frage, welchen bleibenden Eindruck er sich bei den Besuchern der Expo erwartet, antwortete Fujimoto: „Meine Hoffnung ist, dass jeder eine Zusammengehörigkeit in dieser Vielfalt erlebt.“ Der große Ring steht also auch sinnbildlich für die Verbindung der Menschen zueinander.
Text: Gertraud Gerst Fotos: Expo Osaka 2025, Sou Fujimoto Architects
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