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„Sind bereit, weitere Aufgaben zu übernehmen“

Kriege, der sich hinaus zögernde Konjunkturaufschwung, aber auch die Polarisierung der Gesellschaft, zunehmende Aggressivität und mangelnde Diskursfähigkeit stellen wie manch anderes die Resilienz der Menschen auf eine harte Probe. Umso mehr wächst in vielen die Sehnsucht nach Orientierung, (Rechts)Sicherheit und Vorhersehbarkeit – Themen, für die das heimische Notariat seit mehr als 150 Jahren steht, ist ÖNK-Präsident Michael Umfahrer überzeugt.

Gefühlt reiht sich seit 2020 eine Krise an die andere …

Michael Umfahrer: Den Eindruck macht es tatsächlich. Pandemie, eine hohe Inflation, ebensolche Zinsen, explodierende Energiekosten, steigende Arbeitslosenzahlen, eine schwache Konjunktur, militärische Konflikte – die letzten Jahre waren wirklich herausfordernd.

Das spiegelt sich auch in der gesellschaftlichen Entwicklung wider: Die Diskursfähigkeit hat massiv abgenommen, eine andere Meinung wird nicht mehr toleriert. Gleichzeitig haben Polarisierung und Aggression zugenommen. Ich finde diese Entwicklung besorgniserregend.

Hängt das möglicherweise damit zusammen, dass sie dem Notariat widerspricht?

Das kann durchaus sein. Wir Notare sind ja vom Staat ernannte Amtsträger, und als solche zu Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet. Das findet sich auch in unseren Standesregeln und Standeswerten. Das heißt, wir vermeiden präventiv Streit, indem wir alle Beteiligten an einen Tisch holen, sie umfassend und objektiv beraten und alle denkbaren Eventualitäten miteinbeziehen. Auf dieser Basis errichten wir dann die entsprechenden Unterlagen und achten so darauf, dass niemandem Unrecht geschieht. Darüber hinaus nehmen wir als Gatekeeper eine wichtige Aufgabe zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie von Sozialbetrug und Steuerhinterziehung wahr.

Damit leistet das Notariat einen großen Beitrag zur Rechtssicherheit!

Ich würde sogar sagen, dass wir mit unserer täglichen Arbeit auch dazu beitragen, den Rechtsfrieden und damit den Rechtsstaat, den sozialen Frieden und letztendlich die Demokratie zu erhalten. Und wir schaffen Vertrauen. All das ist derzeit wichtiger denn je – für den Einzelnen, aber auch die Gesellschaft und die Wirtschaft beziehungsweise den Wirtschaftsstandort.

Gibt es in diesem Zusammenhang noch Potenziale?

Absolut. Wir haben dazu bereits einige Ideen gesammelt, die wir gerne in die Regierungsverhandlungen nach der Wahl einbringen wollen. Und wir sind bereit, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.

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Welche wären das?

Als Gerichtskommissäre sind wir Bestandteil der Justiz – als solche wickeln wir Verlassenschaften ab. Und das höchst erfolgreich: 99 Prozent aller Verlassenschaften gehen bei uns ohne Streit über die Bühne. Damit tragen wir nicht nur zur Streitvermeidung, sondern auch zur Entlastung der Gerichte bei. Letzteres könnte noch ausgebaut werden: Wir bieten an, die gesamte Verlassenschaft als Gerichtskommissäre abzuwickeln, daher auch den Einantwortungsbeschluss zu erlassen und im Zuge der Verlassenschaft auch gleich etwaige Rechte des Verstorbenen, die im Grundbuch eingetragen sind, zu löschen. Dazu gehört beispielsweise ein Wohnrecht. Wir könnten uns auch vorstellen, in unserer Funktion als Gerichtskommissäre einvernehmliche Scheidungen durchzuführen. Das würde Gerichte ebenfalls entlasten, immerhin werden weit mehr als 80 Prozent aller Scheidungen einvernehmlich vollzogen. Und sollte das Verschuldensprinzip wegfallen, plädieren wir für die verstärkte Inanspruchnahme der Möglichkeit einer Scheidungsfolgenvereinbarung zum Schutz des schwächeren Teils.

Was ist darunter zu verstehen?

Um einen Rosenkrieg bei einer Scheidung zu vermeiden, sollten Ehepartner noch in guten Zeiten die Rahmenbedingungen für eine etwaige Scheidung festlegen können. Beispielsweise könnten sie vereinbaren, wem die Wohnung gehören soll und welcher Unterhalt geleistet wird. Damit das Instrument angenommen wird, müsste allerdings die staatliche Vergleichsgebühr von zwei Prozent des Verkehrswerts des Vermögens wegfallen.

Sie erwähnten auch den Wirtschaftsstandort: Wo gibt es da Handlungsbedarf in puncto Rechtssicherheit?

Bei den Personengesellschaften. Bei diesen gibt es keinen verpflichtenden schriftlichen Gesellschaftsvertrag und sollte doch einer vorhanden sein, muss er nicht im Firmenbuch abgelegt werden. Das gibt leider laufend Anlass zu Rechtsstreitigkeiten. Unser Vorschlag wäre, den Gesellschaftsvertrag zu verschriftlichen und als öffentliche Urkunde sowohl im Firmenbuch als auch in der Urkundensammlung abzulegen. Außerdem ist es zur Sicherstellung einer funktionierenden Unternehmensfinanzierung hoch an der Zeit, die Regeln zur verbotenen Einlagenrückgewähr vernünftig zu reformieren.

Banken, Versicherungen und selbst der Staat setzen oftmals nur noch auf digitale Kommunikation und ebensolche Wege. Wird das Notariat dem folgen?

Digitalisierung ist wichtig, das ist unbestritten. Das Notariat ist hier schon lange Vorreiter. Daher haben wir ja auch angeboten, die ID Austria als Amtsträger auszugeben. Aber andererseits darf man niemandem die Digitalisierung aufzwingen. Das heißt, wir bieten unsere Dienstleistungen auch weiterhin analog, digital und auch hybrid an.

Eine letzte Frage: Das Notariat bietet an, eine Vielzahl von Aufgaben zu übernehmen. Gibt es bei Ihnen keinen Fachkräftemangel?

Natürlich sind auch wir nicht im Paradies. Aber wir steuern gegen: Beispielsweise haben wir das Berufsbild der Assistenten geschärft, um noch klarer zu zeigen, dass es sich dabei um eine hoch spezialisierte, verantwortungsvolle und selbstständige Arbeit im Bereich Rechtsdienstleistungen handelt – nur ohne Studium. Und wir stehen für exzellente Aus- und Weiterbildung – sei es in unserer Akademie, sei es im Universitätslehrgang „Akademische Kanzleiassistenz“. Dazu kommt, dass unsere Arbeit zukunftsträchtig und krisensicher ist – womit sich der Bogen zum Anfang unseres Gespräches schließt.

Danke für das Gespräch!

ihr-notariat.at