Patientenzentrierte onkologische Versorgung
Für Früherkennung und Vorsorge braucht es tragfähige Konzepte, einen effizienten Einsatz von Ressourcen und einen kompetenten Informationsfluss. Im Burgenland wurde eine Reihe entsprechender Voraussetzungen bereits getroffen. Als Leuchtturmprojekt gilt in diesem Zusammenhang das Darmkrebs-Screening, das für positives Echo bei Patientinnen und Patienten sowie Behandlerinnen und Behandlern sorgt. Das Projekt zur Darmkrebsvorsorge erspart den Betroffenen durch frühe Diagnosen Leid und dem System Kosten. Es wird unter anderem durch Vorträge zur Sensibilisierung begleitet, wie OA Dr. Gernot Leeb, Abteilung für Innere Medizin der Klinik Oberpullendorf, erklärt: „Entscheidend ist hier die Art der Kommunikation. Betroffene werden nicht mehr von Negativinformationen erschlagen, sondern erfahren, wie viele Fälle durch Screenings verhindert werden konnten. In zwölf Jahren wurden 1.200 Karzinome operiert und genauso viele verhindert. Das Burgenland geht nicht mehr gegen Dickdarmkrebs vor, sondern setzt sich für die Dickdarm-Gesundheit ein.“ Entsprechende positiv besetzte Programme braucht es auch für die Onkologie.
Wohnortnah, zentral
Die größte Herausforderung im Burgenland ist die Geografie, ist Urologe Doz. Dr. Walter Albrecht von der Gesundheit Burgenland überzeugt: „Um wohnortnahe Versorgung mit Zentralisierung zu verbinden, braucht es aufgebrochene Landesgrenzen. Der Best-Point-of-Service kann auch in einem anderen Bundesland sein.“ Das betrifft auch jene Nachsorge, die nicht oder nicht vollständig im niedergelassenen Bereich durchgeführt werden kann. Es gilt, nicht die Bevölkerung zur Mobilität zu zwingen, sondern die Versorgung zu den Betroffenen zu bringen. In Oberwart hat sich im September 2024 eine eigene Abteilung für Hämatologie und internistische Onkologie etabliert.
Die Medikamente werden in der Krankenhausapotheke gebrauchsfertig hergestellt. Mag. Marion Alt leitet die Apotheke in der Klinik Oberwart und beschreibt, dass in einem gemeinsamen Tumorboard* zentral Patientenfälle für alle Kliniken der Gesundheit Burgenland besprochen und Therapiebeschlüsse gefasst werden, unabhängig davon aus welchen Bereichen des Burgenlandes die Patientinnen und Patienten kommen. „Für eine Therapieentscheidung wird unter anderem auch das soziale Umfeld des Patienten berücksichtigt. Jeder Fall wird interdisziplinär besprochen. Die Expertise kommt nun aus dem onkologischen Zentrum, aber die Betreuung ist flächendeckend. Ausgehend von Oberwart wird die Medikation dann in die Kliniken verschickt. So wandert das Medikament zur oder zum Betroffenen, nicht umgekehrt“, so Alt. Das sei eine logistische Herausforderung, aber eine lösbare, so die Apothekerin. „Das einzige Limit ist die Stabilität des Medikaments“, ergänzt Alt.
Unterstützung
Angelika Widhalm vom Bundesverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE), berichtet aus Patientensicht von den Erwartungen an eine patientenzentrierte Versorgung. „Eine Krebserkrankung ist nicht nur für die Betroffenen eine große Herausforderung, sondern für die ganze Familie“, betont Widhalm. „Es braucht soziale Einrichtungen, die sich auch um die Familie kümmern, damit sich die Patientinnen und Patienten ihrer Behandlung widmen können.“ Im Hinblick auf die Vorsorge wünscht sich die Patientenvertreterin mehr Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung und klarere Regeln für die Abläufe, etwa für die Frage, wer wie Befunde an den Patienten, die Patientin und die Familien kommuniziert und über die Konsequenzen aufklärt.
Daher plädiert Widhalm für eine aktive Awarenessbildung, ein strukturiertes Vorsorgeprogramm und von Anfang an psychologische Betreuung für die gesamte Familie. Angesichts ungelöster Personal- und Finanzierungsprobleme empfiehlt Widhalm, Patientenorganisationen zu involvieren, die gerade in der onkologischen Betreuung hervorragende psychologische Arbeit leisten. Auch die Einbindung von Betroffenen und Angehörigen in das Tumorboard und die Kooperation mit Cancer Nurses könnten eine psychologische Versorgung sicherstellen. Positives Feedback erfährt im Burgenland darüber hinaus die Krebshilfe, die aus ärztlicher Sicht unterstützt, aber gleichzeitig mit Patienten- und Selbsthilfeorganisationen eng kooperiert, ergänzt Alt.
Patient im Mittelpunkt
Für eine Patientenzentrierung braucht es vor allem eine funktionierende Kommunikation, und zwar sowohl zur Patientin und zum Patienten als auch innerhalb des Gesundheitssystems, fordert Widhalm. „Im Idealfall wird der Patient von allen ernst genommen und steht im Zentrum der Kommunikation. Das funktioniert derzeit jedoch noch nicht überall“, bedauert Widhalm. Unterstützung dafür geben Vorsorge-Screening-Programme, Tumorboard und Innovationsboard.
Die Frage, was im Spital und was im niedergelassenen Bereich gelöst werden kann, macht das Prozedere jedoch schwieriger. „Hier besteht sicher Verbesserungsbedarf“, räumt Leeb ein – Vereinbarungen für direkte Transfers in Fachzentren würden die Lage für Betroffene und Behandler vereinfachen. Auch das Innovationsboard öffnet Möglichkeiten der Gestaltung im Burgenland. Erstzulassungen der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) werden hier ebenso diskutiert wie personalisierte Therapien, berichtet Albrecht. „Die Ergebnisse des Innovationsboards werden dann an die zentrale Arzneimittelkommission herangetragen. Das Board ist ein beratendes Organ, das auch über neue Geräte oder Methoden diskutiert“, so der Mediziner. Es wird als Entscheidungshilfe sehr geschätzt.
Herausforderungen
Krebspatientinnen und -patienten im Burgenland sind in der glücklichen Lage, die Beschlüsse des Tumorboards, des Innovationsboards und die Medikamentenzuteilung durch die Klinik-Apotheke flächendeckend im ganzen Land nutzen zu können. Für die Zukunft der Onkologie wünschen sich die Experten eine bessere Datenlage und umfassendere Statistiken sowie mehr Informationen als pure Daten. Mehr pharmazeutische Expertise flächendeckend in allen Häusern, damit es nicht zu falschen Medikamentenverabreichungen kommen kann, und eine noch entschiedenere Aufhebung von Bundesländergrenzen wären ebenfalls wichtige Ziele. Schließlich stehen auch die Verkürzung von Diagnose- und Therapiewegen und eine Unterstützung der personalisierten Medizin auf dem Wunschzettel. „Durch eine österreichweite Vereinheitlichung des Angebots bei Therapien und Medikamenten würde mehr Gerechtigkeit entstehen“, sagt Albrecht abschließend.
*Das Tumorboard ist eine Fallkonferenz von Spezialisten, in der onkologische Fälle interdisziplinär besprochen und Therapieentscheidungen gefällt werden. In einem medizinischen Innovationsboard werden neue Produkte, Therapien und Forschungserkenntnisse diskutiert und beurteilt.