Erbrecht: Testamente bieten weitreichende Gestaltungsfreiheit
Das Thema Erben betrifft jeden irgendwann, sei es als jemand, der etwas vererben will, sei es als Erbe. Doch häufig wird die Weitergabe des Vermögens im Todesfall im Familienkreis weder thematisiert noch geregelt. Warum das unter Umständen ein Fehler sein kann und welche Rolle ein Testament bei der Umsetzung des letzten Willens spielt, erklärt Mag. Andreas Tschugguel, Notar in Wien.
Wir steuern in den kommenden Jahren auf einen Erben-Boom zu. Doch nach wie vor wird beim Thema Vererben vieles dem Zufall überlassen. Woran, denken Sie, liegt das?
Andreas Tschugguel: Viele Menschen schieben das Thema Testament und damit den Gedanken an den eigenen Tod nach wie vor zur Seite. Aber ich habe dennoch den Eindruck, dass immer mehr Menschen selbstbestimmt vorsorgen möchten und die Nachfrage nach Testamenten tendenziell zunimmt.
In Österreich kann man sein Erbe einerseits über die gesetzliche Erbfolge vererben. Wie sieht diese konkret aus?
Wenn man kein Testament hinterlässt, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Das Gesetz sieht in diesem Fall eine Familienerbfolge vor, nach der in erster Linie die Kinder des Verstorbenen erben. Gibt es keine Kinder, erben in zweiter Linie die Eltern. Sind diese bereits verstorben, geht das Erbe an die Geschwister. Gibt es weder Kinder noch Eltern oder Geschwister, dann kommen wir in die dritte Linie, konkret zu den Nachkommen der gemeinsamen Großeltern.
Die Ehepartnerin, der Ehepartner kann aber doch auch erben…
Natürlich. Neben der Familienerbfolge gibt es noch das Erbrecht des Ehegatten. Hinterlässt man beispielsweise einen Ehegatten und zwei Kinder, erben die Kinder gemeinsam zu zwei Drittel, der Ehegatte zu einem Drittel.
Andererseits gibt es in Österreich das Testament. Was kann man damit regeln?
Mit einem Testament hat man eine weitreichende Gestaltungsfreiheit: Man kann von der gesetzlichen Erbfolge abweichen und selbst bestimmen, wer die Erben sind und zu welchen Quoten sie erben. Darüber hinaus kann man im Testament bestimmte Vermächtnisse verfügen. Das bedeutet, dass man bestimmte Gegenstände bestimmten Personen zukommen lassen kann.
Sollte jeder ein Testament errichten?
Grundsätzlich ja. Um die Frage letztendlich für sich zu entscheiden, rate ich jedem zu einer Rechtsberatung. Dabei erfährt man, wie die gesetzliche Erbfolge im individuellen Fall aussieht und kann somit beurteilen, ob diese tatsächlich dem letzten Willen entspricht. Meistens ist das nicht der Fall – dann ist es wichtig, ein Testament zu errichten, um Klarheit zu schaffen und den letzten Willen optimal umzusetzen.
Ich denke, ganz besonders wichtig ist die Regelung der Erbfolge für Unternehmer:innen …
Natürlich. Neben der erbrechtlichen bedarf es hier aber auch einer unternehmensrechtlichen Beratung. Bei Gesellschaften beispielsweise ist es wichtig, den Todesfall eines Gesellschafters auch im Gesellschaftsrecht zu berücksichtigen.
Wer erbt eigentlich, wenn es keine gesetzlichen Erben und auch kein Testament gibt?
In diesem Fall kommt es zum sogenannten Heimfall an die Republik, das heißt, der Bund eignet sich die Verlassenschaft an.
Es gibt ja mittlerweile viele Patchwork-Familien. Welche Stellung haben Stiefkinder im Erbrecht?
Stiefkinder sind wie auch Pflegekinder weder erb- noch pflichtteilsberechtigt. Haben beide Partner bereits Kinder aus früheren Beziehungen, empfehle ich, sich bereits bei der Eheschließung über die damit verbundenen pflichtteils- und erbrechtlichen Konsequenzen zu informieren.
Der größte Fehler ist, bei der Erstellung des Testaments keine Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen
Ebenfalls im Wachsen ist die Zahl der Lebensgemeinschaften: Hat man als Lebensgefährte Anspruch auf das Erbe des Partners?
Lebensgefährten sind zwar durch das Erbrechtsänderungsgesetz 2015 im gesetzlichen Erbrecht erstmals berücksichtigt worden, allerdings nur mit einem außerordentlichen Erbrecht. Das heißt, sie erben von Gesetzes wegen nur dann, wenn es kein Testament gibt und überhaupt keine anderen gesetzlichen Erben vorhanden sind. Daher ist es wichtig, den Lebensgefährten gegebenenfalls testamentarisch abzusichern.
Sie sagten eingangs, dass ein Testament weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Kann man damit auch gesetzliche Erben enterben?
Bei der Gestaltungsfreiheit gibt es eine Grenze und das ist das Pflichtteilsrecht, das für Kinder und Ehegatten gilt. Diesen steht zwingend die Hälfte dessen zu, was ihnen nach der gesetzlichen Erbfolge gebührt. Hinterlässt jemand zum Beispiel ein Kind und einen Ehegatten, steht Letzterem ein Sechstel der Erbschaft als Pflichtteil zu.
Aber es gibt doch einen Pflichtteilsverzicht?
Das ist richtig. Mit einem Pflichtteilsverzichtsvertrag, der als Notariatsakt abzuschließen ist, kann ein Pflichtteilsberechtigter dem späteren Vererbenden gegenüber auf seinen Pflichtteil verzichten. Solche Verzichte kommen häufig in Zusammenhang mit Schenkungen vor: Der Pflichtteilsberechtigte erhält eine Schenkung, zum Beispiel eine Eigentumswohnung, und verzichtet dafür auf seinen späteren Pflichtteil.
Noch einmal zurück zum Testament: Was sind die größten Fehler, die man dabei machen kann?
Der größte Fehler ist, bei der Erstellung des Testaments keine Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen.
Für Testamente, besonders für fremdhändige, gelten strenge Formvorschriften. Kommt es da zu einem Fehler, ist das Testament null und nichtig. Der andere Punkt ist der Inhalt. Setzt ein Laie das Testament ohne Rechtsberatung auf, kann es leicht zu unklaren Bestimmungen kommen. Sind die Bestimmungen des Testators nicht eindeutig, so können diese leicht zu Streit führen. Das gilt es unbedingt zu vermeiden.
Viele von uns leben ja mittlerweile nicht nur in der analogen, sondern auch einer digitalen Welt – Stichwort Profile in sozialen Netzwerken, Websites, Domains, Email-Accounts, Blogs oder virtuelle Werte wie Bitcoins sowie Fotos und Videos z.B. auf Instagram. Sollte man beim Vererben auch daran denken?
Dieses Thema wird immer wichtiger. Tatsächlich kann man über digitale Werte, seien es ideelle, seien es tatsächliche Vermögenswerte, letztwillig verfügen.
Braucht das Erbrecht beispielsweise angesichts der Veränderung der Familienstrukturen eine Weiterentwicklung?
Es gibt viele Aspekte im Erbrecht, bei denen Verbesserungsbedarf hin zu mehr Rechtsklarheit besteht. Bei einer nächsten Reform sollte meines Erachtens aber vor allem über eine Verbesserung der Position der Lebensgefährten nachgedacht werden und auch darüber, ob das Pflichtteilsrecht nicht in einigen Aspekten zugunsten der Testierfreiheit etwas eingeschränkt werden sollte.
Der Österreichische Erbrechtstag, der von der Österreichischen Notariatskammer Ende November erstmals veranstaltet wird, will ja dazu beitragen ...
Der Erbrechtstag hat einen wissenschaftlichen Beirat, der mit prominenten Erbrechtsprofessoren besetzt ist. Wir wollen mit dem Erbrechtstag, der künftig jährlich stattfinden soll, das Erbrecht wissenschaftlich gut durchleuchten und damit vielleicht auch da oder dort zu dessen Fortentwicklung beitragen.
Danke für das Gespräch!
Der Talk mit Mag. Andreas Tschugguel zum Thema Erbrecht ist im KURIER TV CHANNEL: MEIN RECHT unter kurier.tv/talks/mein-recht zu sehen.