So gelingt die Jobsuche trotz schwieriger Wirtschaftslage
Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Jobwechsel? Worauf sollten Sie achten? Wie können Personalberater*innen bei einem beruflichen Wechsel oder einer Neuorientierung unterstützen? Wer einen Jobwechsel anstrebt, muss einiges bedenken - vor allem, weil die Wirtschaftslage momentan herausfordernd ist. Umgekehrt gibt es auch für Unternehmen beim Rekrutieren einiges zu beachten. Wir haben mit Hannes Gsellmann, Geschäftsführer der Iventa Personalberatung Österreich, über den aktuellen Arbeitsmarkt in Österreich gesprochen und den einen oder anderen Tipp für Unternehmen und Bewerber*innen abgestaubt.
KURIER: Hohe Zinsen, steigende Preise, Rezessionssorgen: Die aktuelle wirtschaftliche Lage ist herausfordernd. Wie würden Sie die aktuelle Jobmarktsituation beschreiben?
Gsellmann: Turbulent - und vielleicht sogar ein bisschen aus den Fugen geraten. Wir haben derzeit eine interessante Mischung aus einem nach wie vor sehr stark Bewerber*innen-dominierten Markt, aber gleichzeitig auch einer sich eintrübenden Konjunktur. Die überdurchschnittlich hohe Kostenbelastung führt dazu, dass Unternehmen auf der Kostenbremse, also auch der Rekrutierungsbremse, stehen und vorsichtiger bei Neueinstellungen sind. Neben hohen Material- und Energiekosten hatten Unternehmen im letzten Jahr mit ungeplant hohen Kollektivvertragsabschlüssen zu kämpfen. Jetzt stehen sie vor schlechteren Ergebnissen und müssen sich überlegen, ob sie Personalkosten aufbauen oder nicht.
Hannes Gsellmann ist Geschäftsführer der Iventa Personalberatung Österreich. Der Betriebswirt begann seine Laufbahn als HR-Manager und blickt heute auf eine Karriere von rund 25 Jahren in der HR-nahen Unternehmensberatung, viele Jahre davon als Mitunternehmer, zurück. Heute zeichnet er bei Iventa für das Personalberatungsteam in Wien, Linz, Graz, Salzburg und Innsbruck verantwortlich und betreut Executive-Search-Projekte sowie Management-Audits und Potenzialanalysen.
Das heißt, für Jobsuchende ist es aktuell nicht so einfach wie vorher, weil bei den Unternehmen weniger Budget für Personal da ist?
Es ist zumindest nicht mehr ganz so leicht wie letztes Jahr. Es gibt immer noch Branchen, die eine unglaubliche Nachfrage produzieren, und es gibt auch noch immer Rollen, die sehr gefragt sind. Das wird sich so schnell auch nicht ändern. Es kommt also sehr auf die Branche und auf die Rolle an, ob die Situation für Jobsuchende gut oder schlecht ist – man kann das nicht pauschal sagen.
Welche Branchen boomen denn nach wie vor? Wo gibt es immer noch große Nachfrage nach Mitarbeiter*innen?
Ein Bereich ist definitiv das Gesundheitswesen. Das ist der Jobmarkt der nächsten Jahre, weil enorm viele Personen im Gesundheitswesen gebraucht werden. Dazu zählen nicht nur Pflegekräfte, sondern auch viele andere Fachkräfte, die rundherum im Gesundheitswesen notwendig sind, etwa in administrativen Positionen oder im Qualitätsmanagement. Auch Bereiche wie die Gastronomie und Hotellerie, die Buchhaltung und das Controlling sowie das Handwerk suchen händeringend nach Mitarbeiter*innen. Und nach wie vor, wenn auch nicht mehr ganz so überhitzt, werden IT-Expert*innen gesucht, weil Digitalisierungsprojekte fast in allen Unternehmen auf der Agenda stehen. Dafür suchen diese sehr spezifische IT-Positionen wie Projektmanager*innen oder Softwareentwickler*innen. Was mich dabei wundert, ist, dass Unternehmen – trotz aller Beteuerungen – qualifizierte Arbeitskräfte über 50 Jahre immer noch vermeiden.
15 bis 25 Jahre in einer Rolle oder einem Unternehmen zu verbringen, das einem nur noch Magenschmerzen verursacht, wäre eine katastrophale Entscheidung.
Ist ein Jobwechsel oder ein beruflicher Neuanfang mit 50 oder älter noch sinnvoll?
Das kann ich ganz klar mit ja beantworten. Erstens, wenn man 40 oder 50 ist, hat man noch 15 bis 25 Berufsjahre vor sich. 15 bis 25 Berufsjahre in einer Rolle oder einem Unternehmen zu verbringen, das einem nur noch Magenschmerzen verursacht, wäre eine katastrophale Entscheidung. Sobald man merkt, dass man in der aktuellen Rolle langfristig nur mehr von Nervosität, von Ängsten oder von Unlust-Gefühlen geplagt ist, sollte man beginnen, sich mit einem Plan B zu beschäftigen. Ich habe auch schon öfters die Erfahrung gemacht, dass allein die Beschäftigung mit Alternativen und die Erkenntnis „es gibt Alternativen“ die aktuelle Situation sogar wieder ein bisschen entspannt. Wenn man sich in Summe nicht mehr ausgeliefert fühlt, sondern das Gefühl hat „Ich könnte ja auch etwas anderes tun“, dann macht man es gar nicht mehr notwendigerweise. Aber es ist auf jeden Fall anzuraten, auch mit 40, 50 oder 55 noch einen Jobwechsel vorzunehmen, wenn man sich massiv mit Unlust und Freudlosigkeit konfrontiert sieht.
Wie sieht es denn umgekehrt aus: Wie können Unternehmen von „älteren“ Arbeitskräften profitieren?
Ich glaube, dass das im Moment eine der meist unterschätzten Zielgruppen ist. Vielleicht liegt es daran, dass man die Qualitäten von 50- bis 60-jährigen Arbeitskräften nicht einschätzen kann, wenn man nicht selbst zwischen 50 und 60 ist. Es geht hier vor allem darum, dass man mit 50 oder 60 bestimmte Herausforderungen oder Probleme schon mehrfach durchlebt und Handlungsmuster gefunden hat, wie man damit umgeht. Das heißt, man ist weniger im Trial-and-Error-Modus, geht mit mehr Gelassenheit auf Herausforderungen zu und auch sehr viel zielgerichteter und effizienter mit Themen um. Diese Qualität ist, glaube ich, eine sehr unterschätzte. Ich würde die „grauen Panther“ als die große Personalreserve sehen, die die Wirtschaft im Moment hat. Ich hoffe, dass Unternehmen das auch bald so sehen. Es wird zwar schon viel davon gesprochen, aber die hundertprozentige Umsetzung sehe ich in den Unternehmen noch nicht.
Ich würde die grauen Panther als die große Personalreserve sehen, die die Wirtschaft im Moment noch hat.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Jobwechsel? Sollte man sich in der aktuellen Wirtschaftslage beruflich überhaupt neu orientieren?
Ja. Wenn die negativen Aspekte deutlich überwiegen, Ihnen die Energie bei der Arbeit regelmäßig ausgeht, Sie sich Montagfrüh vor der Arbeit fürchten oder sich nicht ausreichend gesehen oder wertgeschätzt fühlen, dann ist das eine Arbeitssituation, in der es richtig ist, sich umzuorientieren. Das gilt auch, wenn Sie mit Zielen konfrontiert werden, die Ihnen völlig unerreichbar erscheinen und an denen Sie gemessen werden. Üblicherweise werfen Sie einen Job nicht einfach so hin und beginnen dann, sich nach etwas Neuem umzusehen, sondern Sie beginnen parallel, einen zweiten Plan aufzubauen. Erst, wenn Sie dann eine Möglichkeit haben, lassen Sie das Alte liegen. Ansonsten entsteht Druck.
Ist es als Unternehmen in der derzeitigen Wirtschaftslage klug, neue Mitarbeiter*innen zu rekrutieren?
Diese Frage ist relativ einfach zu beantworten mit ja. Wenn Unternehmen bestimmte Ziele erreichen müssen oder bestimmte betriebliche Notwendigkeiten zu erfüllen haben und das nur mit zusätzlichen Mitarbeiter*innen können, dann müssen sie rekrutieren. Unternehmen rekrutieren üblicherweise dann nicht, wenn sie das entsprechende Geschäft im Moment nicht haben. Für diese Unternehmen könnte es spannend sein, in schwierigen wirtschaftlichen Situationen azyklisch zu rekrutieren. Das heißt, Unternehmen suchen jetzt nach Positionen, die sie nicht unbedingt sofort, aber garantiert in den nächsten Jahren brauchen, weil diese jetzt leichter zu finden sind, als wenn der Wirtschaftsmotor wieder voll angesprungen ist.
Im Bezug auf schwer zu findende Rollen können Unternehmen den Weg auch mit Personalberater*innen gehen. Es reicht leider nicht, nur Inserate auf Plattformen zu stellen und Social-Media-Aktivitäten zu machen, weil man damit nicht alle Menschen erreicht. Das Erreichen aller Personen einer Zielgruppe kann eigentlich nur ein*e gute*r Headhunter*in. Besonders, wenn es ein sehr enger Markt ist und Sie bestimmte Spezialist*innen rekrutieren möchten, ist das eine sehr gute Alternative zum eigenen Talent Sourcing oder Active Sourcing.
Oft merkt man nach einem beruflichen Wechsel schon nach kurzer Zeit, wenn es nicht passt. Wie sehen Sie Jobwechsel nach einem kurzen Arbeitsverhältnis? Sollte man das vermeiden?
Nein, ich finde das nicht so schlimm. Wenn ich mir aus der Sicht der Personalberater*innen einen Lebenslauf ansehe, ist es für mich sogar ein Stück logischer zu sagen „Ich habe nach drei Monaten die Notbremse gezogen“ als beispielsweise erst nach einem Jahr. Wesentlich ist hier, sich die Summe eines „Track Records“ anzusehen. Ist es eher die Regel, dass eine Person schon nach kurzer Zeit wieder die*den Arbeitgeber*in verlässt? Dann müsste man hinterfragen, ob die Person die notwendige Standfestigkeit hat, auch mal Problemsituationen durchzustehen und nicht gleich davonzulaufen. Wenn Sie einmal mit einem Job einen Fehlgriff gemacht haben und Ihre Werte dramatisch verletzt werden, dann ist aus meiner Sicht so eine Entscheidung lieber schneller als langsamer zu fällen. Sie müssen sich nur sicher sein, dass das nicht nur eine vorübergehende Anfangsschwierigkeit ist, wo man ein bisschen Zähigkeit und Ausdauer braucht, um darüber hinwegzukommen, sondern dass etwas ganz Grundsätzliches nicht in Ordnung ist.
Welche Fragen sollte man sich beim Jobwechsel stellen?
Hier sollten Sie eher auf Soft-Faktoren setzen und herausfinden, was Ihnen wirklich Freude bei der Arbeit bereitet. Ich habe das für mich vor einiger Zeit auch gemacht und auf einem weißen Blatt Papier alles notiert, was für mich die auslösenden Dinge sind, ob ich damit zufrieden bin. Das waren überwiegend nicht Dinge wie Gehalt oder das Arbeitspensum, sondern es ging um Dinge wie: Finde ich dort auch Anerkennung für das, was ich kann? Kann ich dort mein Talent einsetzen? Bin ich mir überhaupt dessen bewusst, was meine Talente sind? Finde ich dort Vertrauen oder nur sehr viel Misstrauen vor? Gibt es die notwendige Unterstützung, Dinge zu tun? Das sind solche Soft-Faktoren, die Sie sich selbst klarmachen müssen. Es geht also eher darum, warum Sie sich in bestimmten Rollen wohlfühlen und warum nicht, und das können Sie als Basis dafür nutzen, was Sie in einer neuen beruflichen Rolle eigentlich vorfinden möchten.
Viele Unternehmen arbeiten mit Personaldienstleister*innen zusammen, um neue Mitarbeiter*innen zu finden. Was machen Personalberater*innen genau? Was bedeutet das für Jobsuchende?
Gleich vorweg: Bewerber*innen müssen nie etwas dafür bezahlen, wenn sie zu Personalberater*innen oder Headhunter*innen gehen. Wenn Sie sich auf ein Inserat bewerben oder von einer*einem Headhunter*in angerufen werden, ist das für Sie immer kostenfrei. Die Dienstleistung der Personalberater*in erfolgt immer für das Unternehmen, das den Auftrag vergeben hat. Das bedeutet aber auch, dass Personalberater*innen kein*e Karriereberater*innen sind. Die Karriereberatung gibt es auch auf dem Markt. Diese Dienstleistung ist aber sehr wohl kostenpflichtig oder wird von bestimmten sozialen Organisationen durchgeführt.
Inwiefern können Personalberater*innen wie Iventa Bewerber*innen beim Jobwechsel dann unterstützen?
Wenn Sie als Person in einem Bewerbungsprozess mit einer*einem Personaldienstleister*in sind, dürfen Sie sich erwarten, dass man sich Zeit für Sie nimmt, um Ihnen eine Rolle auch wirklich in allen Aspekten zu erklären. Dazu gehören die Hintergründe der Rolle, wesentliche Informationen rund um das Unternehmen oder auch Vor- und Nachteilen der Position, um Ihnen dieses Job-Match ermöglichen zu können. Wenn dieses Wissen nicht da ist, ist auch das Job-Match schwierig, denn Ihnen muss klar sein, was in diesem neuen Job auf Sie zukommt.
Sie dürfen als Bewerber*in auch nach Feedback fragen, zum Beispiel nach einem geführten Interview über den Verlauf des Gesprächs oder zu den Bewerbungsunterlagen. Da muss von Seiten des*der Personalberater*in auch eine Antwort kommen. Meiner Meinung nach geht es um gute Informationsvermittlung, um Wertschätzung und Respekt. Das ist das, was Sie von guten Personalberater*innen erwarten dürfen und was diese zu 100 Prozent können müssen.
Zudem profitieren Bewerber*innen davon, dass Personalberater*innen gute Einblicke in bestimmte Branchen und Unternehmen haben und so auch Zugang zu Stellenangeboten bieten können, die vielleicht noch nicht öffentlich ausgeschrieben sind.
Meiner Meinung nach geht es um gute Informationsvermittlung, um Wertschätzung und Respekt. Das ist das, was Sie von guten Personalberater*innen erwarten dürfen und was diese zu 100 Prozent können müssen.
Das Personalberatungsunternehmen wird von Unternehmensseite beauftragt. Wenn dieses Unternehmen nun einen ganz miesen Ruf hat, wie ehrlich dürfen Personalberater*innen mit Bewerber*innen sein?
Sich als Personalberater*in eine falsche Geschichte zurechtzulegen, wäre überhaupt nicht in Ordnung. Bewertungen von Unternehmen auf Bewertungsportalen oder Meinungen von ehemaligen Mitarbeiter*innen geben aber auch nicht immer das tatsächliche Bild eines Unternehmens wieder. Ich glaube, man muss als gute*r Personalberater*in eine gute Erklärung dafür haben, warum der Ruf des Unternehmens nicht so gut ist. Zu schwindeln oder zu schummeln, um jemanden trotzdem zu verlocken, halte ich nicht für gut. Eine Rolle als herausfordernd darzustellen, und das beinhaltet durchaus auch kritische Informationen, das ist schon von seriösen Berater*innen zu erwarten.
Wenn es sich um eine nicht besetzbare Rolle handelt, weil man als Personalberater*in dort niemanden hinschicken möchte, dann darf man dieses Projekt nicht annehmen. Wir bei Iventa werden nicht beauftragt, ohne dass wir das wollen. Es ist eine Partnerschaft zwischen zwei Unternehmen, die der Meinung sind, dass sie das gemeinsam machen möchten.
Auf Stellenmärkten, wo Positionen digital inseriert werden, sind nur Leute, die aktiv suchen. Und das sind nur 20 Prozent der Menschen. Die anderen 80 Prozent erreiche ich dort nicht.
Wie können Unternehmen die Rekrutierungsstrategien anpassen?
Es gibt aktuell sehr viele Kanäle, über die rekrutiert werden kann. Es gibt alle Arten von Medienkanälen - digital, aber auch Print. Print würde ich nicht unterschätzen, weil es den großen Vorteil mit sich bringt, dass Unternehmen auch passiv Interessierte erreichen können. Auf Stellenmärkten, wo Positionen digital inseriert werden, sind nur Leute, die aktiv suchen. Und das sind nur 20 Prozent der Menschen. Die anderen 80 Prozent erreiche ich dort nicht. Von diesen 80 Prozent gibt es aber sicher Menschen, die durch die Zeitung blättern, und dort vielleicht zufällig auf ein interessantes Job-Angebot stoßen.
Zusätzlich gibt es sehr viele Möglichkeiten, auch über Social-Media-Kanäle zu suchen. Nicht nur über klassische Inserate, sondern auch über das Ausspielen von Jobanzeigen über Youtube, Instagram, Facebook usw., wo Unternehmen Job-Inserate als klassische Werbung ausspielen und damit ihre Zielgruppe sehr gut eingrenzen und erreichen können.
Viele Unternehmen bauen sich inzwischen auch ihre eigenen Active-Sourcing-Mitarbeiter*innen auf, die zum Beispiel auf LinkedIn oder anderen beruflichen Social-Media-Kanälen Menschen suchen.
Und dann gibt noch Unternehmen wie Iventa, die einem das abnehmen, all diese Kanäle selber bespielen zu müssen. Zudem finden wir auch Personen, die man dort trotzdem nicht findet, weil sie keine aktuellen Profile, gar keine Social-Media-Profile oder andere Jobbezeichnungen haben oder gar nicht aktiv suchen. Um diese Menschen zu finden, sind Personalberater*innen oder Headhunter*innen eine gute Adresse.