Chronik/Wien

Zwischen gefühlter und realer Kriminalität

Um die Mittagszeit herrscht reges Treiben am Reumannplatz in Favoriten. Geschäftsleute sind hektisch auf der Suche nach Essen, Mütter mit Kinderwägen spazieren die Einkaufsstraße entlang und Schüler genießen ein Eis in ihren letzten Ferientagen. Dazwischen sitzen Pensionisten gemütlich auf den Bänken und beobachten die Passanten. Die Atmosphäre ist entspannt.

Wenn man die mediale Berichterstattung verfolgt, gewinnt man jedoch einen anderen Eindruck. „Ich fühle mich hier zwar sicher. Bloß in den Medien wird viel über die Kriminalität in Favoriten berichtet. Es wird auch nur von schlechten Vorfällen berichtet. Und ist einer schlecht, sind gleich immer alle schlecht“, sagt Anrainerin Rosa.


Im Mittelfeld

Ihre Einschätzung wird von der kürzlich veröffentlichten Analyse des gemeinnützigen Recherchezentrums correctiv bestätigt. Laut dem Bericht liegt Favoriten „absolut im Mittelfeld“, wenn es um die Kriminalität pro Kopf geht: Auf 1000 Einwohner kommen im zehnten Bezirk 98 Anzeigen. Im Schnitt waren es in Wien 103 Anzeigen.
Obwohl es also in Favoriten nicht häufiger zu Vorfällen gekommen ist, wurde die Kriminalität im Zehnten öfter medial thematisiert. Das ist überwiegend auf die Pressearbeit der Polizei zurückzuführen. Die schickte 2013 zweieinhalb Mal öfter Pressemeldungen zu Vorfällen in Favoriten als zu Vorfällen in Döbling aus. Mit 188 Aussendungen ist der zehnte Bezirk den restlichen Bezirken, die nicht einmal auf die Hälfte kamen, weit voraus. Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl erklärt, dass 80 bis 90 Prozent der Medienberichte über Kriminalität auf Polizei-Aussendungen beruhen. Die negative Berichterstattung hat reale Auswirkungen: Nicht jeder fühlt sich in Favoriten sicher.


Unsicherheit

Herta, Angestellte eines Bekleidungsgeschäfts am Reumannplatz, freut sich, dass sie bald nicht mehr hier arbeitet: „Auch wenn ich jetzt einen Job suchen muss, ist mir das lieber, als jeden Tag hierher zu fahren. Sowohl ich als auch unsere Kunden fühlen sich hier nicht sicher.“ Ihrer Meinung nach leidet das Geschäft unter dem Verlust von Stammkunden, die sich über Diebstähle beschweren. Doch nicht alle teilen ihre Meinung. Renate wohnt schon seit 45 Jahren in Favoriten. „Es ist zwar multikulti, aber im positiven Sinn. Natürlich hat sich einiges verändert, aber das muss ja nichts Schlechtes sein“, sagt sie und schlendert weiter die Favoritenstraße entlang.