Zwei Welten prallten bei Demos vor Asylwerberheim aufeinander
Von Nihad Amara
Der Aufwind der FPÖ in der Steiermark ist am Mittwochvormittag in Erdberg nicht zu spüren. Es ist windstill, und 28 FPÖ-Funktionäre und Unterstützer protestieren in der prallen Sonne vor der ehemaligen Zoll-Schule, in der rund 300 Flüchtlinge untergebracht sind.
Ein Pensionist, 78, in beigem Polo-Shirt, beiger Hose und Sandalen wischt sich den Schweiß von der Stirn und wird laut: „Die Flüchtlinge fressen uns alles auf. Uns bleibt nichts.“ Nachsatz: „Sie können mich als Nazi darstellen, mir ist das wurscht.“ Der glatzköpfige Mann daneben hört zu, will aber nicht reden. „Ich bin nur da und halte das.“ Er meint sein Schild. „Nein zum Asylantenheim“, steht darauf.
Zwei Welten prallten in Wien-Landstraße beinahe aufeinander: Nur Polizisten und einige Meter trennten rund 40 Flüchtlingsaktivisten von der FPÖ-Kundgebung. Auf der anderen Straßenseite standen ungefähr 60 Grüne-Unterstützer und Bürger, die sich über den FPÖ-Auftritt lautstark empörten. „Flüchtlinge sind hier willkommen“, war auf ihren Transparenten zu lesen.
„Separieren“
Die Kundgebungen lassen erahnen, dass das Thema Asyl zu einem Wahlkampfschlager in Wien wird. SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer warnte vor einem „fürchterlich untergriffigen Wahlkampf.“
Dietrich Kops, FPÖ-Landtagsabgeordneter und geschäftsführender Parteichef im Bezirk Landstraße, will davon nichts wissen: „Es geht prinzipiell um den Standort, nicht um die Flüchtlinge.“ Er fordert die Schließung der Unterkunft, spricht von Polizeieinsätzen im Quartier und will „endlich die Kasernen öffnen“. Man müsse die Flüchtlinge „von der Wohngegend separieren“. Wien, sagt er, übererfülle die Quote. „Das ist doch nicht fair gegenüber der Bevölkerung.“
Im freiheitlichen Eck sticht ein Plakat hervor: „Asylsuchende herzlich willkommen“ ist darauf zu lesen; Alexander Pollak von SOS-Mitmensch hält es in Händen. „Es gelingt der FPÖ, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme auf das Thema zu projizieren.“ Asylsuchende würden sich dafür eignen, weil die Politik in diesem Bereich versage.
„Gemeinheit“
Pollak bezeichnet es als „Gemeinheit, dass gegen die hier ordentliche Unterbringung“ auf die Straße gegangen wird. Er spielt auf die Zelte an, die in anderen Bundesländern für Asylsuchende aufgestellt werden. Der Protest gegen das Quartier richte sich „indirekt gegen Menschen, die Schutz hier suchen“, betont er.
Für einen Moment wirken einige FPÖ-Unterstützer irritiert. Eine Flüchtlingsfamilie will ins Quartier und kommt auf sie zu. Fotografen halten fest, wie die Demonstranten kurz Platz machen.
„Bitte lasst uns bleiben“
Was Bürgermeister Häupl über die "Hetz-Politik" der FPÖ sagt, lesen Sie hier.
Die Flüchtlingsströme durch Europa haben am Mittwoch die Tiroler FPÖ auf den Plan gerufen. In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Südtiroler Freiheitlichen forderten sie die temporäre Wiedereinführung von Grenzkontrollen am Brenner. Die FPÖ ortete mangelnde Kontrollen, um dem "Flüchtlingschaos" auf der "Schlepperroute Nummer 1" Herr zu werden.
"Das ist eine moderne Völkerwanderung aus überwiegend wirtschaftlichem Interesse, mit der wir es derzeit zu tun haben", erklärte Landesparteichef Markus Abwerzger. "Der Großteil der Menschen, die über den Brenner nach Österreich kommen, sind Wirtschaftsflüchtlinge", meinte Abwerzger bei der Pressekonferenz am Brenner. Und über den Brenner würden schließlich rund 90 Prozent der gesamten illegal eingereisten Migranten in die Alpenrepublik gelangen, so der Tiroler FPÖ-Chef. Rund 80 Prozent der Menschen würden in Österreich einen negativen Asylbescheid ausgestellt bekommen, seien also Wirtschaftsflüchtlinge, berief sich Abwerzger auf Zahlen aus dem Innenministerium. Nur etwa 20 Prozent seien Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention. Man habe Hinweise, dass sich diese Zahlen auch durch die Flüchtlinge, die noch kommen würden, nicht wesentlich ändern werden und sich lediglich auf die Verhältnisse "70 zu 30" oder "60 zu 40" verschieben dürften.
Zur Zeit sei die Flüchtlingswelle von Italien nach Tirol bzw. nach Österreich gestoppt und sei es "am Brenner ruhig", räumte der Obmann der Südtiroler Freiheitlichen, LAbg. Walter Blaas, ein. Der Flüchtlingsstrom habe sich - wohl durch die verschärften Kontrollen wegen des G-7-und Bilderbergtreffens - nach Frankreich verlagert. "Im Prinzip" würden aber die Züge mit den Flüchtlingen am Brenner "nur durchgewunken", kritisierte FPÖ-Klubobmann, LAbg. Rudi Federspiel.
Kritik an der Landesregierung
Der FPÖ-Klubchef geißelte dabei die Politik der Tiroler Landesregierung, die sich nicht für die befristete Einführung von Grenzkontrollen am Brenner im Bund eingesetzt habe, so wie sie Deutschland während des G-7-Gipfels praktiziere. "Die Landesregierung ist unfähig und Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) als ehemaliger Innenminister überhaupt die größte Enttäuschung", polterte Federspiel. "Die anderen Parteien sollen sich endlich zu Wort melden und sagen, wir haben ein Riesenproblem", verlangte er. Ein Bundesland könne im Asyl- und Flüchtlingsbereich überdies sehr wohl selber aktiv werden und schnellere Asylverfahren sicherstellen, fügte Abwerzger hinzu. Diese würden derzeit "fadenscheinig" in die Länge gezogen.
Auch für Tirols Soziallandesrätin Christine Baur (Grüne), zuständig für das Flüchtlingswesen, und Innsbrucks Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer (Für Innsbruck) hagelte es Kritik. Baur fahre in punkto Flüchtlingsunterbringung über die Gemeinden drüber und "kreiere" Flüchtlingsheime und "stopfe" diese voll, meinte Federspiel. Und Innsbruck werde unter Oppitz-Plörer "langsam das Aufnahmezentrum überhaupt". Angesprochen auf die Tatsache, dass in Tirol ohnehin wenig Flüchtlinge einen Asylantrag stellen würden - im Jahr 2014 waren es 521 Anträge bei 7.106 aufgegriffenen Flüchtlingen - sagte Federspiel: "Das ist schon zu viel".
Blaas erinnerte zudem an die besondere Flüchtlings-"Problematik" am Bahnhof Bozen. Zudem würden sich die in Südtirol aufhältigen Migranten als Italiener deklarieren und so in Zukunft für eine Verschiebung hin zu einer größeren italienischen Sprachgruppe sorgen, befürchtete er.
Sowohl Blaas als auch Abwerzger und Federspiel betonten, dass das "Problem" nur auf europäischer Ebene gelöst werden könne. In Afrika gelte es zu verhindern, dass Boote auslaufen. "Vor Ort" müssten Unterbringungskapazitäten geschaffen und zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und solchen nach der Genfer Konvention unterschieden werden. Mit "Stop the boats, no way" sprach sich Abwerzger für das "Australische Modell" aus.