Wohin geht der Weg einer neuen Wohngeneration?
KURIER: Wie würden Sie Ihre Wohnbauphilosophie beschreiben?
Ewald Kirschner: Das Motto der Gesiba lautet „Fair Living“. Das entspricht auch der Philosophie des Wiener Wohnbaus und der Stadtplanung. Leistbares Wohnen für alle, zu hohen Standards und leistbares Wohnen vor allem für junge Menschen, die noch kein Kapital angespart haben, und sich erst ihr Lebenskonzept verwirklichen müssen. Wohnbau heißt aber auch, für neue Wohnformen offen zu bleiben. Beispiele dafür gibt es viele, etwa die BikeCity oder die Biotope City in Favoriten.
Das Wiener-Wohnkonzept findet in Europa großen Anklang. Warum ist das so?
Gerade Kommunen aus Deutschland wollen auch den Wiener Weg des Wohnbaues gehen: Ehemals privatisierte Wohnanlagen rückkaufen, sanieren und den Bewohnern mit leistbaren Mieten weitergeben. Das ist ja die Philosophie des Wohnbaues in Wien, der mittlerweile seit mehr als 100 Jahren dafür garantiert, dass die Mieten niedrig, die Immobilienspekulation so gering wie möglich und die Standards der Wohnungen so hoch wie nur denkbar sind. Mehr als 500.000 Wohnungen in Wien sind entweder Kommunal-, gemeinnützige Genossenschafts- und geförderte Wohnungen. Mittlerweile gibt es sogar einen neuen Typus der freifinanzierten Wohnungen, die im Rahmen der Wiener Wohnbauoffensive Mieten wie bei Gemeinnützigen garantieren.
Wie wird es weitergehen mit dem Wohnbau in Wien?
Zunächst einmal müssen wir unsere Philosophie an die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts anpassen: Ressourcenmangel, was die Grundstücke betrifft, Umwidmung von Industriebrachen in Green Fields, verdichtetes Bauen, gleichzeitig aber Schaffen von neuen Kommunikations- und Versorgungsflächen. Dabei ist wesentlich, dass Stadtplanung und Wohnbau eng zusammenarbeiten, da es ja um mehr geht, als nur Wohnanlagen hinzustellen. Notwendig ist das Zusammenspiel von Nahversorgung, öffentlicher Infrastruktur und vor allem der Bildungs- und Sozialinfrastruktur. Viele neu geplante Anlagen integrieren Kindertagesheime oder Volksschulen und sind in der Nähe zu den neuen Bildungscampusanlagen, an denen auch die Gesiba in der Umsetzung beteiligt ist.
Was wird hier konkret geplant?
Um den wachsenden Bedarf abzudecken, sind in etwa 7.000 bis 10.000 Neubauwohnungen mit dem Schwerpunkt leistbare Wohnungen bzw. Sanierungen pro Jahr notwendig.
Welche Schwerpunkte müssen in Zukunft beim Wohnbau besonders berücksichtigt werden?
Es geht bei neuen Wohnprojekten vor allem um Wohnmobilität. Junge Menschen brauchen weniger Wohnraum als Familien und ältere Menschen wiederum weniger als sie in aktiven Zeiten hatten. Hier muss eine neue Flexibilität sowohl architektonisch als auch im Bewusstsein der Menschen umgesetzt werden.
Ewald Kirschner ist seit 1.1.1998 Vorstand im Gesiba-Konzern. Nach seiner dreijährigen Tätigkeit im Vorstand des Verbandes der Gemeinnützigen Bauvereinigung wechselte er heuer, im Juni 2019 in den Aufsichtsrat.
Er ist zudem Mitglied des Wiener Grundstücksbeirats sowie Mitglied des Universitätsrates der Jazz-Universität Wien.