Chronik/Wien

Wo der Vegetarier sein Schnitzel isst

Was Gottfried Helnwein in seinem Schloss in Irland oder seinem Haus in L.A. am meisten vermisst? Den Wiener Dialekt, "die beste und kreativste Sprache der Welt." Wenn der berühmt-berüchtigte Künstler seine Heimatstadt wieder einmal besucht, dann zieht es ihn dorthin, wo er diese sprachliche Eigenheit noch findet: Im "Oswald & Kalb" in der Bäckerstraße in der City.

Jenes legendäre Wiener Beisl, in dem Gottfried Helnwein sogar ab und an vergisst, dass er eigentlich Vegetarier ist und sich doch ein Schnitzel mit Erdäpfelsalat bestellt. Als der KURIER den Künstler in seinem ehemaligen Stammlokal trifft, gibt es allerdings Zwetschkenknödel. Für die ist Besitzer Stefan Sares in der Früh extra noch auf den Großgrünmarkt gefahren.

Voller Künstler

Nicht selten verbrachte Helnwein in den 1980ern Tage (und Nächte) in dem Lokal. Und war dort nicht der einzige. Seit das Beisl 1979 von Kunsthistorikerin Evelyn Oswald und Kunsthändler Kurt Kalb eröffnet wurde, war es bei den Wiener Künstlern beliebt. Auch Geburtstage wurden hier gefeiert. Im Falle von Freund Manfred Deix mit großem Promi- und folglich großem Medienaufgebot, erinnert sich Helnwein. Ob er stolz auf sich sei, wurde Deix an dem Abend von einem Reporter gefragt. "Ich bin stolz darauf, der Entdecker des Beistrichs zu sein." ("Wissen S’ eh, das sind Bremsspuren in der Unterhose.") Neben Bundeskanzler Franz Vranitzky war auch der damalige Innenminister Karl "Charly" Blecha zu Gast – und der rief: "Es lebe der Beistrich!" Als Deix wissen wollte, ob Blecha auch einen Beistrich habe, da schrie der doch tatsächlich: "Jawoll! Und ich bin stolz drauf!" Bei der Erinnerung muss Helnwein den Kopf schütteln. Wo, außer in Wien, könnte das passieren? Aber wo, außer in Wien, kann auch man den ganzen Tag bei einem Getränk im Beisl sitzen? In L.A. wird einem jedenfalls gleich die Rechnung auf den Tisch gelegt. Aber Essen und Trinken war im Beisl eigentlich immer Nebensache. Als Künstler in den 1980er-Jahren hatte man kein Geld. Und wer im Lokal saß, der konnte Heizkosten sparen und musste nicht noch mehr Bilderrahmen dafür opfern. Und selbst wenn einmal das Geld für die Suppe fehlte – man konnte anschreiben lassen. Oder ein Bild zum Tausch anbieten.

Nicht zum Verkauf

Dabei wollte Helnwein seine Bilder nie verkaufen. Irgendwann bekam ein Fan aber seine Adresse heraus und klopfte an die Tür. Der designierte Käufer ließ sich nicht abschütteln. Also nannte Helnwein eine Summe, die ihm so übertrieben hoch vorkam, dass der Fremde sie wohl ablehnen müsse. Doch der drückte ihm die paar tausend Schilling einfach in die Hand.

Die Wiener kennen halt keine Distanz, findet Helnwein. Wie oft würden ihn Unbekannte auf der Straße mit "Grüß di, Helnwein" ansprechen und ihm ihre Erlebnisse erzählen. Aber auch das macht Wien einfach aus – und irgendwie charmant. Und alles sei besser als im internationalen Einheitsbrei zu verschwimmen.

Wer in den 1980ern durch die Bäckerstraße spazierte, stolperte zwangsläufig über ein bekanntes Gesicht – das großteils bereits etwas illuminiert war. Nicht umsonst heißt es: Wer sich an die 80er erinnert, der hat sie nicht erlebt. Ob sich Udo Proksch später erinnerte, dass er einen Luster von der Decke im „Kalb“ geschossen haben soll, ist fraglich – ob die Legende wirklich wahr ist, auch.

Neben dem „Oswald und Kalb“ ebenfalls ein Urgestein in der Bäckerstraße und des Abends heute noch oft so voll, dass man schwer einen Platz bekommt, ist das Café „Alt Wien“ schräg gegenüber. Obwohl es mit seinem schmuddelig-gemütlichen Ambiente fast ein wenig mehr an ein Beisl erinnert. Jedenfalls startete Josef Hawelka 1936 mit diesem Lokal seine gastronomische Karriere.

Zu empfehlen ist jedenfalls das Gulasch. Ein etwas gewöhnungsbedürftiges, traditionelles Highlight: Der Knoblauchschnaps. Und ein definitiver Vorteil in diesem Lokal: Trotz der prominenten Lage finden sich hier mehr Wiener als Touristen ein.

Neue Trends

Dabei hat sich die Straße mit den angeblich am besten erhaltenen Bürgerhäusern Wiens im Laufe der Jahre durchaus gewandelt. 2001 eröffneten die Schnitzel-Meister „Figlmüller“ (die mittlerweile jährlich 50 Tonnen Schweinefleisch verarbeiten) ihre dritte Filiale in der Bäckerstraße 6.
Und seit knapp einem Jahr bringt die zweite Bettel-Alm am Lugeck trachtige Menschen mit Schlagern zum Tanzen – und Anrainer ob des Lärmpegels auf die Palme.